Sevdaliza: Shabrang
Das außergewöhnliche Coverfoto der in Teheran geborenen und ab ihrem fünften Lebensjahr in den Niederlanden aufgewachsenen Sevdaliza (amtlich: Sevda Alizadeh) assoziiert man auf den ersten Blick mit Gewalttätigkeit, Misshandlung und Verletzung. Zwar bilden auch – wie auf ihrem vor drei Jahren erschienenen Debütalbum „Ison“ – Erfahrungen von Leid, Enttäuschungen und Verlusten den Hintergrund ihrer 14 neuen Songs, im Vordergrund steht aber ganz bewusst die Überwindung dieser negativen Gefühle, der Versuch, sie in Stärke zu transformieren. Die 33-jährige ehemalige Basketball-Nationalspielerin und nunmehr höchst kreative Singersongwriterin, Produzentin und Filmemacherin bezeichnet dieses Album als eine Art Brief an sich selbst, als ihre ganz persönliche Bibel, mit der Aufforderung, eben nicht in Depressionen zu verfallen, sondern auf das Leben, die Liebe und auf sich selbst als Mensch zu vertrauen.
Es geht um Heilung und Erneuerung. Möglicherweise helfen ihr dabei ja die 26 Millionen YouTube-Aufrufe allein für ihr Video „Human“ – für die meisten ihrer Songs gibt es durchaus sehenswerte visuelle Umsetzungen – ein bisschen, ganz sicher aber dieser unglaubliche Kreativitätsschub, der „Shabrang“ zu einem absolut hörenswerten Ausnahmealbum werden ließ. Der Albumtitel stammt aus der persischen Mythologie und lässt sich nicht eindeutig übersetzen, bezieht sich auf ein mystisches Pferd, bedeutet aber auch in etwa „alle Farben der Nacht“. In der Tat verfügt Sevdaliza musikalisch über eine ausgesprochen breite Farbpalette mit einem reichhaltigen Arsenal an Ausdrucksmöglichkeiten, die sie aus alternativen Electronics, Trip-Hop, Future-R&B, ebenso wie aus klassischen Pianoklängen, aber auch aus orientalischen Melismen, Rhythmen und originellen Streicherarrangements schöpft. Ihre Stimme, die sie gerne mit elektronischen Effekten verfremdet, ist unglaublich wandlungsfähig und ausdrucksstark, suggeriert in ihrer Brüchigkeit absolute Zerbrechlichkeit, aber auch emotionsgeladene Power und Sinnlichkeit. Textlich geht Sevdaliza ebenfalls unkonventionelle Wege und greift manchmal zu verblüffenden Kunstgriffen. So erkennt man beispielsweise im balladenhaften Opener „Joanna“, dass sie ihr verzweifeltes „Please stop ruining me“ nicht an eine Geliebte, sondern an ihr eigenes, düsteres Selbst richtet. Identitätssuche, Selbstverständnis, Körperlichkeit, Weiblichkeit sind Standardthemen dieser unorthodoxen Selbsttherapie, die immer wohltuend uneindeutig und somit spannungsgeladen bleibt. Dieses exzellente Album hat keine Schwachstelle, das geht alles auf direktem Weg unter die Haut und in die Seele!
(Butler Records)