Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Gunnar Landsgesell · 19. Apr 2019 · Film

Van Gogh - An der Schwelle zur Ewigkeit

Wie mag der krisengeschüttelte Wegbereiter der modernen Malerei, Vincent van Gogh, die Welt erlebt haben? Vielleicht so, wie Willem Dafoe sie interpretiert: als Impressionist mit expressiver Note, der lieber das Wurzelwerk eines umgestürzten Baumes in kühles Blau taucht, als die Pracht der Natur zu feiern. Man folgt Dafoe und seiner sanften Stimme dabei gerne durch Krisen und Befreiungsschläge.

Es hat bereits Dutzende Filme über den niederländischen (Post)Impressionisten Vincent Van Gogh gegeben, darunter Akira Kurosawas Episodenfilm „Dreams“ mit der skurril anmutenden Besetzung von Martin Scorsese als Van Gogh. Braucht die Welt also ein Biopic mehr über den Maler, der die verwelkten Kornblumen hinterlassen und sich im Wahn sein Ohr abgeschnitten hat? Vielleicht ist „brauchen“ nicht der richtige Ausdruck, aber Julian Schnabel versucht erst gar nicht, ein weiteres pflichtbewusstes Künstlerporträt zu schaffen. Schnabels Film, scheinbar befreit von jedem Ballast, sucht vielmehr die Welt durch Van Goghs Augen zu erfahren, ohne jeden Anspruch auf Richtigkeit. "Van Gogh" ist eher ein sinnliches Projekt, das einem frei flottierenden Willem Dafoe viel Raum belässt. Das zahlt sich aus. Dafoe, der Mann mit dem expressiven Gesicht und der sanften Stimme macht einen glauben, man sei hier wirklich der Unrast, dem Wahn, aber auch der feinfühligen, ganz eigenen Ratio des niederländischen Meisters nahe. Der 64-jährige Dafoe ist die Idealbesetzung für Van Gogh, auch wenn dieser sich schon mit 37 Jahren das Leben genommen hat. In einigen dialogfreien Passagen findet der Film seine schönsten Momente: Da zieht Dafoe hinaus auf lichtdurchflutete Felder und wird dabei von einer agilen Handkamera (Benoît Delhomme) und Klaviermusik begleitet. Abgesehen von der lyrischen Qualität dieser Szenen ist Schnabels Versuch offensichtlich, Van Goghs künstlerische Mittel auf einer filmischen Ebene zu wiederholen: der Impressionismus ist noch nicht überwunden, aber die Verstörung der Moderne schon auf dem Weg.

Unklare Linien bleiben erhalten

Ein präzises Drehbuch ist in einem Fall wie "Van Gogh", bei dem es nicht um geschliffene Konvention geht ,sondern alles auf dem Prüfstand steht, besonders viel Wert. Jean-Claude Carrière, der etwa für Peter Brooks epochales Theater- und Filmprojekt "Mahabharata" (1989) die Vorlage lieferte und mehrfach für Luis Bunuel gearbeitet hat, setzt auf die verquere Logik Van Goghs. Eine der Schlüsselszenen ist wohl jene, in der der Maler in einer Irrenanstalt sitzt, und ein Zwiegespräch mit dem Anstaltspriester (Mads Mikkelsen) führt. Van Goghs genaue Bibelkenntnisse und seine Analogien zwischen Jesus und ihm selbst führen nicht zum Eklat, sondern lassen den Priester nachdenklich werden. Eine schöne, ernsthafte Geste, mit der der Film einen berührt. Auch hier, wie auch in Begegnungen mit seinem Bruder, dem Mäzen und Kunsthändler Theo van Gogh und in den freundschaftlichen Treffen mit dem künstlerischen Weggefährten und Aufrührer Paul Gauguin (Oscar Isaac) gewichtet Willem Dafoe geschickt: statt plumpem Wahnsinn offeriert er die Verletzlichkeit und stille Verzweiflung seiner Figur. Am auffälligsten ist daran vielleicht, wie dieser Van Gogh über sich selbst spricht. Wenn er seiner Vermieterin von Shakespeare erzählt, dann erklärt er ihr, dass er den Autor gerade deswegen schätzt, weil einige seiner Gedanken unklar sind. Auch in "Van Gogh" muss man nicht fürchten, dass das Rätselhafte dieser Figur gelöst wird.