Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Walter Gasperi · 04. Mär 2011 · Film

Unknown Identity

Ein Biotechnologe soll in Berlin an einem Kongress teilnehmen, verunfallt aber auf der Fahrt zum Hotel. Als er aus dem Koma erwacht, will ihn niemand, nicht einmal seine Frau, kennen. Jaume Collet-Serra inszeniert die Identitätssuche als rasanten Actionthriller mit Finten und Wendungen, überspannt teilweise den Bogen aber auch.

Der Biotechnologe Martin Harris (Liam Neeson) landet mit seiner Frau im winterlichen Berlin, um an einem Kongress teilzunehmen. Dort soll Dr. Bressler (Sebastian Koch), dessen Forschung ebenso wie der Kongress von einem Prinzen aus dem Mittleren Osten gesponsert wird, eine Weltsensation vorstellen, die die Ernährungslage grundlegend ändern würde.

Wer ist Martin Harris?

Im Hotel bemerkt Harris aber, dass er am Flughafen den Aktenkoffer mit seinen Unterlagen vergessen hat. Er nimmt ein Taxi, das aber nach kurzer Fahrt in die Spree stürzt. Unter Einsatz ihres Lebens rettet die bosnische Fahrerin Gina (Diane Kruger) Harris aus den Fluten. Vier Tage später erwacht er im Krankenhaus aus dem Koma, verlässt es sogleich auf eigene Verantwortung, doch als er im Hotel eintrifft, will ihn seine Frau nicht erkennen und präsentiert ihm einen anderen Mann als ihren Ehemann. Weil nur die Taxifahrerin seine Identität bestätigen kann, sucht Harris diese auf, findet über eine Krankenschwester in einem ehemaligen Stasi-Agenten (Bruno Ganz) einen Detektiv, der ihm hilft, sieht sich aber auch bald Verfolgung und Mordversuchen ausgesetzt.

Auf Hitchcocks Spuren

An Tempo mangelt es „Unknown Identity“ sicher nicht. Ständig wartet dieser Thriller mit neuen Wendungen auf, bietet spektakuläre Verfolgungsjagden, lässt einen finsteren Stipe Erceg hinter Liam Neeson und Diane Kruger herhetzen und einen lustvoll aufspielenden Bruno Ganz die Sachlage schon recht früh durchschauen. Unübersehbar speist sich  die Geschichte aus Klassikern des Genres von Hitchcocks „Der unsichtbare Dritte“ bis zur „Bourne“-Trilogie. Mit beiden kann aber der vierte Spielfilm des spanisch-stämmigen und in den USA arbeitenden Collet-Serra ("Orphan", 2009) nicht mithalten, da er sich nicht entscheiden kann, ob er das Ganze als harten, ernstzunehmenden Thriller oder als Parodie desselben anlegen will.
Da sind die Verfolgungsjagden bei allem optischen Reiz einfach zu überzogen und nur noch lachhaft wirkt es, wenn bei einer Schlägerei Wohnungswände wie ein Kartenhäuschen einbrechen. Die innere Logik fehlt, wenn der Kongress noch nicht vorüber ist, obwohl doch Dr. Harris vier Tage im Koma lag, und er selbst, kaum aus dem Koma erwacht, schon wieder topfit durch die deutsche Hauptstadt hetzt. Auch die Verschwörungstheorie, die aufgebaut wird, ist einfach zu abstrus, um das Ganze ernst nehmen zu können, andererseits überfrachtet Collet-Serra seinen Thriller mit Versatzstücken aus der Realität vom Los von (illegalen) Migranten über die globale Ernährungslage bis zu Spannungen in der arabischen Welt.

Trashiges Action-Feuerwerk

Zuviel nachdenken sollte man folglich über diesen Film nicht, Spaß macht das trashige Action-Feuerwerk aber dennoch. Man muss die Identitätssuche zunächst einmal eben als das nehmen, was sie ist: ein hitchcockscher MacGuffin, der einzig dazu dient die Handlung in Gang zu setzen, Killer auf- und abtreten, Liam Neeson kräftig zuschlagen, Diane Kruger ihr Taxi mit wahnwitzigem Tempo durch das von Flavio Labianos Kamera großartig eingefangene winterlich verschneite Berlin steuern und das Ganze in einen großen spektakulären Showdown im legendären Hotel Adlon münden zu lassen.
Und doch kann das von Collet-Serra auf die Spitze getriebene Spiel mit der Identität auch den Zuschauer wieder einmal veranlassen zu überlegen, was oder wer er denn über das, was in amtlichen Dokumenten festgehalten ist, hinaus eigentlich wirklich ist.