Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Gunnar Landsgesell · 14. Jul 2016 · Film

Toni Erdmann

Groteske und Tragikomödie: "Toni Erdmann" ist ein Film, der von der kleinen Form lebt. Vater und Tochter (Peter Simonischek und Sandra Hüller) als Bewohner zweier Welten, die durch einen zotteligen Typen mit schlechten Zähnen, den Toni, immer wieder zusammengeführt werden. Komisch.

Es hatte ein paar Tage gedauert, bis die Empörung in den deutschen Feuilletons wieder abgeebbt war. „Toni Erdmann“, eine fast dreistündige Komödie, von Regisseurin Maren Ade in Moll-Tönen komponiert, hatte in Cannes nicht die Goldene Palme gewonnen, sondern Ken Loach, ein Filmemacher, der wie wenige andere in Europa seit den Sechziger Jahren, das, was wir heute als sozialkritischen Film verstehen, mit entworfen hat. Der Achtzigjährige, zweifache Goldene-Palme-Preisträger war aber das falsche Signal, war man sich in der Branche einig, während man die Jury von Cannes als Fehlbesetzung bezeichnete. Welches Signal schickt also die deutsche Tragikomödie „Toni Erdmann“ aus?

Groteske


Wie zuletzt in "Alle anderen" zeigt Maren Ade, wie vielschichtig ihre Erzählstrategien sind: sie beherrscht wie wenige andere, die zwischenmenschliche Beziehung durch klitzekleine Irritationen, kaum vernehmbare Misstöne, das unausgesprochen Peinliche, das oft schon der sozialen Interaktion an sich eingeschrieben ist, zu vermitteln. Dazu hat Ade eine Geschichte geschrieben, die bis aufs Äußerste reduziert ist, um sich ohne narrativen Ballast ganz auf eine Vater-Tochter-Beziehung zu konzentrieren, wie sie das Kino bislang noch nicht produziert hat. Peter Simonischek als pensionierter oder vorübergehend freigestellter "altmodischer" Vater, vielleicht ein Alt-68er, der seine Tochter liebt, ihrem Job als Unternehmensberaterin jedoch mit unverhohlenem Sarkasmus begegnet. Und Sandra Hüller, irritierbar als Tochter und unbeirrbar als Karrieristin, deren hochernste und immer auf der Kippe befindlichen Geschäftskontakte mit grotesker Regelmäßigkeit vom Vater durchkreuzt werden: dann steckt er sich seine abstehenden, falschen Zähne in den Mund, taucht in seiner Persona als Toni Erdmann auf, immer ein bisschen komisch, ein bisschen grauslich, und entlarvt mit regressiver Lust die aufgesetzt wirkenden Rhetoriken der globalisierten Businesswelt. Simonischek als ostentativ aus der Welt-Geworfener, der die anderen aufgetakelten Geschäftsleute ganz plump beschämen möchte, würde nicht als Protagonist dieses Films taugen. Das weiß Ade natürlich am besten, die die wiederholten Auftritte Simonischeks mit stupider Regelmäßigkeit einsetzt, um Hüller in immer vertracktere Situationen zu werfen. Ihr gehört dieser Film und in ihr findet Ade auch eine Schauspielerin, die die Balance zwischen Groteske und menschlichen Nöten auf eindrückliche Weise in ihre Figur übersetzt. Was sich zwischen der toughen Geschäftsfrau und der immer wieder zur Tochter degradierten Frau abspielt, generiert weit mehr Spannung als die Kritik von Toni am unternehmerischen Geist seiner Tochter. Ja, am Ende sitzt er, der Toni, sogar ein bisschen geknickt da und scheint an sich selbst zu zweifeln, während der Karrierezug seiner Tochter dahinsaust. Aufgehalten an ein paar Stationen, aber nicht aus den Schienen geworfen. So geht es auch dem Zuseher in diesem Film, er unterhält sich über die kleinen Irritationen, die so ein falscher Gebissträger abzulösen vermag, aber die Erschütterungen eines Ken Loach, die darf man von "Toni Erdmann" nicht erwarten.