Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Gunnar Landsgesell · 03. Feb 2012 · Film

Tinker Tailor Soldier Spy / Dame, König, As, Spion

Es gibt Filme, die sich in der Wahrnehmung von Filmkritik und Kinopublikum nahezu in zwei Werke aufzuspalten scheinen. Das britische Agentendrama Tinker Tailor Soldier Spy ist so ein Fall. Im Netz schön ablesbar: Zuerst die Elogen der Kritiker, dann vielfach enttäuschte Postings. Liegt es nur daran, dass dieser Agentenfilm sich bestimmten Genreregeln verweigert?

Vorab zur Warnung: In dieser Geschichte tummeln sich ziemlich viele Leute. Und die meisten von ihnen sind Agenten. Dass sie alle einen Spion suchen, dynamisiert das Geschehen nicht unbedingt. Denn der Maulwurf steckt in den eigenen Reihen des British Intelligence Service; die Suche gestaltet sich damit eher als bedächtiges Abtasten des Anderen denn als spektakuläre Gefahrenabwehr. Beim Zuseher sorgt das vor allem für eine ziemliche Unübersichtlichkeit, umso mehr, als das Drehbuch sich lange Zeit einen Dreck um sachdienliche Hinweise schert. Zwar bricht „Tinker Tailor“ mit seiner konspirativen Bürogemeinschaft aus den 1970er Jahren, als der Kalte Krieg ideologisch gesehen eigentlich noch klare Fronten zog, das schnöde Freund/Feind-Schema sonstiger Agententhriller deutlich auf. Um zum Führungszirkel, der hier im Mittelpunkt steht und sich „Circus“ nennt, den entscheidenden Zugang zu finden, muss man sich aber durch Schichten von Routinen und einer verklausulierten, fast bürokratischen Sprache arbeiten. Das macht sicherlich einen Teil des Reizes dieses Films aus, der damit einerseits an Realismus gewinnt, weil er kaum mehr bietet, als man sich vom „echten“ Alltag solcher Beamter erwarten würde. Während er andererseits mit seinen aus diesem Alltag gerissenen fragmentarischen Szenen und einer radikalen Absage an spektakuläre Schauwerte auch jede Menge Geduld einfordert. Letztlich verhält es sich mit „Tinker Tailor“ wie mit dem Schachspiel, das George Smiley (Gary Oldman) in der konspirativen Wohnung seines verstorbenen Chefs findet: auf den Figuren kleben die Bilder seiner Kollegen und auch seines, er erblickt sich in diesem Moment also selbst. Der Fund erhellt zwar bestimmte Rollenzuschreibungen, die Frage nach dem Spielführer lässt sich aber für niemanden beantworten. Auch für das Publikum nicht.

Blackout verhindern, Figuren merken

Wer also sind die Mitglieder des Circus, dieser Truppe, die sich regelmäßig aber völlig zwecklos im abhörsicheren Raum mit der Eierkarton-Verschallung trifft? Die wichtigsten Akteure finden sich bereits im Titel des Films. So wie in der Romanvorlage von John le Carré hat ihnen ihr Chef, genannt Control und im Film dargestellt von einem ziemlich abgewrackten John Hurt diese Codenamen gegeben: Tinker ist Percy Alleline (Toby Jones), der auf den Job von Control spitzt, aber nicht zu den strategischsten Köpfen des Circus zählt; Tailor ist der mit Charme und Instinkt ausgestattete Bill Haydon (Colin Firth), Soldier ein flapsiger Typ namens Roy Bland (Ciarán Hinds). Spy ist der, um den es geht... Noch im Spiel sind u.a. der erwähnte Smiley (Gary Oldman mit zum Enigma erstarrtem Gesicht), der ungarnstämmige Toby Esterhase (David Dencik) und ein Agent namens Jim Prideaux (Mark Strong). Schon zu Beginn des Films kurbelt Prideaux in einer der eindrücklichsten Szenen des Films das Geschehen an. Ein Rückblick offenbart, wie Prideaux von Control nach Budapest geschickt wird, um dort einen ungarischen Offizier zu treffen. Er will dem British Service den Namen des vom KGP eingeschleusten Maulwurfs verraten. Das Treffen inszeniert Alfredson als eine Art hyperreales Ereignis. Die beiden Agenten sind von einer Reihe von Passanten umgeben, denen der reine Zufall ihrer Anwesenheit die Schweißperlen auf die Stirn treibt. Das Treffen stellt sich als Falle heraus, Prideaux bricht von einem Schuss getroffen zusammen. Als Konsequenz wird Control abgezogen und stirbt kurz darauf, während Alleline übernimmt mit seinen engsten Vertrauten Hayden, Bland und Esterhase das Kommando. Sie sind schon länger durch eine Operation verbunden, die unter dem Titel witchcraft firmiert und laufend bedeutende Daten der russischen Seite liefert. Smiley misstraut Controls Jünglingen und macht sich selbst an die Recherche.

Verdichtung sozialer Räume

Als stringente Erzählung darf diesen Film wie erwähnt niemand erwarten. Wo die Dramaturgie Lücken aufweist, bleibt der Zuseher ratlos. Da gibt es Szenen, die scheinbar ins Leere laufen und andere, die sich als Puzzlestein anbieten, nur fehlt einem das ganze Puzzle rundherum. Dennoch schließt sich am Ende auch inhaltlich der Kreis. Die Faszination dieses Films geht vor allem von der Inszenierung Alfredsons aus. Wie schon die introvertierte Vampirgeschichte im Schnee, „So Finster die Nacht“ („Let The Right One In“) hat der TV-Veteran auch Le Carrés Stoff mit traumwandlerischer Note verfilmt. Während die Interieurs mit ihren Brauntönen die 1970er Jahre haptisch wiedergeben, halten spärliche Schnitte und Plansequenzen regelrecht die Zeit an. Wie durch Schalltrichter klingen diese Gespräche, weit entfernt vom Geschehen in den Kinos heute. So verdichtet Alfredson die sozialen Räume in leisen, aber hochdramatischen Szenen – für alle, die sich darauf einlassen wollen.