Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Walter Gasperi · 04. Feb 2012 · Film

Huhn mit Pflaumen

Nach dem autobiographischen Animationsfilm „Persepolis“ erzählen Marjane Satrapi und Vincent Paronnaud nach Satrapis eigener Graphic Novel die unglückliche Liebesgeschichte ihres Großonkels Nasser-Ali als Realfilm mit Animationselementen.

Als stilisierten Animationsfilm in Schwarzweiß und nah an ihrem Comic verfilmte Marjane Satrapi mit Vincent Paronnaud ihre autobiographische Geschichte in „Persepolis“. Die comichafte Überhöhung ermöglichte Verkürzungen, Raffungen und größte Handlungsfülle. Politisches und Privates, zwanzig Jahre individuelle Geschichte und die Umbrüche im Iran von der Schah-Zeit über Revolution und Iran-Irak-Krieg bis in die 1990er Jahre, unterbrochen von einer Zeit im Wiener Exil, fügten sich zu einer Einheit.

Orientalische Fabulierfreude

Ganz andere Töne schlagen Satrapi/Paronnaud nun mit der Verfilmung ihrer zweiten Graphic Novel an. Zwar wird die Handlung mit einem Insert im Iran des Jahres 1958 zeitlich verankert, doch sogleich stimmt auch schon der durch den Film führende Off-Erzähler mit „Es war einmal oder es war keinmal“ auf eine märchenhafte Geschichte ein. Von vornherein werden hier Assoziationen an Tausendundeine Nacht, an orientalisches Flair geweckt.
Vom Ende her wird rückblickend das Leben des Geigers Nasser-Ali (Mathieu Amalric) erzählt. Nachdem beim Streit mit seiner Frau seine Geige zu Bruch gegangen ist, muss er feststellen, dass er einer teuren Stradivari-Geige, auf der auch schon Mozart gespielt haben soll, nicht mehr die gewohnten perfekten Töne entlocken kann. Zudem begegnet er auf der Straße noch einmal der ebenfalls gealterten einzigen großen Liebe seines Lebens, die ihn aber scheinbar nicht erkennt. So will er seinem Leben ein Ende setzen. So leicht ist es mit dem Selbstmord aber nicht und so liegt er acht Tage eine Zigarette nach der anderen rauchend im Bett, lässt sein Leben nochmals vorüberziehen und wartet auf den Todesengel Azraël (Edouard Baer).

Überbordender visueller Einfallsreichtum, aber...

Übervoll ist „Huhn mit Pflaumen" – der Titel spielt auf Nasser-Alis Lieblingsgericht an, mit dem ihn seine Frau (Maria de Medeiros) noch einmal vom Sterben abhalten will – an Episoden, doch  keine Konturen wollen die Figuren gewinnen, mehr als das Was rücken Satrapi/Paronnaud mit orientalischer Fabulierfreude das Wie in den Vordergrund, gestalten Szenen mal als Scherenschnitt, parodieren dann in einer Vorausblende auf die Zukunft von Nasser-Alis in die USA emigrierendem Sohn in greller Überzeichnung US-Sitcoms und US-Lebensstil, lassen Nassers Mutter (Isabella Rossellini) die Seele aushauchen, den Todesengel Azraël mächtig und bedrohlich – an Bergmans „Das siebte Siegel“ erinnernd - auftauchen und darauf verweisen, dass niemand seine Todesstunde weiß – nicht einmal der Todesengel selbst.
Überbordend ist das in seinem visuellen Einfallsreichtum und seinen warmen Farbtönen, verspielt Realfilm und unterschiedlichste Animationstechniken mischend, wunderbar im gezeichneten Hintergrund orientalische Städte vorführend, die realen Schauspieler dabei aber zu Statisten degradierend. Da will auch kein Erzählfluss aufkommen, weil diese Fülle nur durch den Todesengel als omnipräsenten Off-Erzähler zusammengehalten und organisiert wird – nur er sorgt dafür, dass der Zuschauer den Überblick nicht verliert.

... emotional kaltes Kino

Weitgehend ausgespart wird das Politische, das nur kurz in der zukünftigen Geschichte des Sohnes Cyrus oder im kommunistischen Bruder Nassers, der gegen die USA wettert, aufschimmert. Davon abgesehen beschränken sich Satrapi/Paronnaud ganz auf die private Geschichte des Musikers, sein unglückliches Leben, verursacht durch die Zwangsverheiratung mit einer ungeliebten Frau und die lebenslange unglückliche Liebe zur Tochter eines Uhrmachers, deren Name Irâne symbolisch auf die unglückliche iranische Geschichte verweist.
Doch emotional packen will diese in anderen zeitlichen und räumlichen Kontexten schon oft schon erzählte Geschichte in ihrer Kurzatmig- und Episodenhaftigkeit nicht, verwehrt in der optischen Sensationsgier, die oft mehr Kitsch als Poesie bietet, dem Zuschauer die Möglichkeit den Figuren – speziell Nasser-Ali - näher zu kommen.
Ein unsympathischer Egozentriker bleibt der Protagonist, kein Raum und keine Zeit wird Mathieu Amalric gelassen, diesem Nasser-Ali mehr Ambivalenz zu verleihen, ihm Leben einzuhauchen, sodass sein Schicksal auch den Zuschauer mitreißt. Großartig sinister wirkt aber Chiara Mastroianni als Nasser-Alis erwachsene Tochter bei einer Pokerrunde, doch völlig isoliert steht diese Szene da. - Letztlichb bleibt "Huhn mit Pflaumen eine kalte Kinomaschine, hochartifiziell und ohne Leben.