Musiker:innen aus Südafrika und Kolumbien prägen den besonderen Charakter des Pforte Kammerorchesters Plus. (Foto: Aron Polcsik)
Gunnar Landsgesell · 01. Nov 2018 · Film

The Guilty

Als der Streifenpolizist Asger in der Notrufzentrale den Anruf einer Frau erhält, die offenbar unter Gewaltandrohung entführt wird, verstricken sich die Ereignisse zunehmend. Regisseur Gustav Möller erschafft einen dichten Erlebnisraum, obwohl die Kamera die Polizeizentrale nie verlässt.

Einem Polizisten in einer Notrufzentrale einen ganzen Film lang zu folgen, das klingt vorab nach einer ziemlichen Anstrengung. Vor allem auch deshalb, weil man als Zuseher potenziell genötigt wird, die Ereignisse, die man nicht sieht, mit eigenen Bildern auszufüllen. Doch genau darin liegt die verblüffende Stärke von „The Guilty“. In Sachen Spannung, Intensität und trickreicher Erzählführung kann es dieser Film locker mit (oftmals ohnehin überfrachteten) Hollywood-Thrillern aufnehmen.

Die Welt als Krisenzentrum

Seinen Ausgang nimmt der erste Spielfilm des in Dänemark lebenden schwedischen Regisseurs Gustav Möller vom Ohr eines Polizisten, der in der Notrufzentrale seinen Dienst versieht. Die Kamera bewegt sich langsam vom Kopfhörer weg, während die Krisentelefonate bereits von der ersten Minute an an den Nerven des Beamten zerren. Asger (Jakob Cedergren), das wird schnell klar, ist nicht für diesen Job geschaffen. Aber irgendwie ist er dennoch hier gelandet. Kryptische Anspielungen und das erratische Verhalten des Mannes deuten darauf hin, dass er mit sich und der Situation nicht wirklich im reinen ist. Wenige Minuten später steckt er in einem Entführungsfall: Eine Frau in Geiselhaft eines unbekannten Mannes. Asger, innerlich zunehmend in Wallung versetzt, muss handeln, doch anstatt auf Streife selbst das Heft in die Hand zu nehmen ist er nahezu hilflos auf die rhetorischen Techniken eines Moderators und Fragenstellers reduziert. Mit erstaunlich sicherer Hand inszeniert Regisseur Möller diesen Fall: Er greift dabei auf klassische Thrillerelemente wie den Wettlauf gegen die Zeit zurück, weiß aber auch mit perfektem Timing und einet ausgeklügelten Kameraführung zu überzeugen. Während sich die Ereignisse zuspitzen, merkt man als Beobachter schließlich, dass einem in „The Guilty“ gar keine Bilder vorenthalten werden. Das eigentliche Geschehen findet exakt vor der Kamera, in den abgedunkelten Räumen dieser Krisenstelle statt. Asger, der Mann mit den streng nach hinten gekämmten Haaren, dem bulligen, durchtrainierten Gesicht und dem notorisch müden Blick bildet selbst das Epizentrum der tragischen Ereignisse, die sich rund um ihn aufbauen. Ein kunstvoll entwickeltes Drehbuch und die titelgebende Schuld, die die fiebrigen Handlungen dieses Polizisten maßgeblich beeinflussen, erzählen von einer Welt, in der man nicht nur mit seiner Vergangenheit ganz auf sich alleine gestellt ist, sondern auch im Moment größter Not alles auf eine Karte setzen muss. Bereits ein kleiner Fehltritt kann in den Abgrund führen. Auch wenn das Setting von „The Guilty“ an einen Film wie „Phone Booth („Nicht auflegen!“) erinnert, der Colin Farrell fast ausschließlich in einer Telefonzelle zeigt, verzichtet Gustav Möller darauf, durch Zuspieler aus der Außenwelt einen visuellen Mehrwert zu erzielen. Die Bunkerstimmung und ungemein druckhafte Situation in „The Guilty“ erinnert mehr an Carpenters Eingeschlossene in „Assault on Precinct 13“ oder auch an die tragische Figur von John Travolta in Brian de Palmas „Blow Out“, als dieser – ebenfalls als Polizist – überraschend eine zweite Chance bekommt, sich nach einem früheren Versagen zu rehabilitieren. Die Psychologie des Streifenpolizisten, die er im Entführungsfall einsetzt, und jene, die ihm fehlt, wenn er selbst zum Getriebenen wird, sorgt dabei für heftige Wechselbäder. Wo das Geschehen derart konzentriert wird wie in „The Guilty“, erscheint die Welt schließlich selbst als Krisenzentrum, die die Ordnungskräfte zersprengt, wo das dominierende Gefühl zwischen Hilflosigkeit und den letzten Versuchen einer Intervention zum entscheidenden Balanceakt wird. Für den Zuschauer entscheidend ist dabei, wie das Geschehen zu bewerten ist: Darf er den Bildern vertrauen, die sich im eigenen Kopf abspielen?