Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Gunnar Landsgesell · 02. Mär 2017 · Film

Silence

Martin Scorsese schickt zwei jesuitische Missionare im 17. Jahrhundert auf die Suche nach einem Mitbruder nach Japan, der dort angeblich vom Glauben abgefallen ist. Ein Film voll moralischer Dilemmata und zunehmender Abgeschlagenheit, in dem Japaner Christen töten und Christen mit sich selbst hadern. Eine Prüfung, auch für das Publikum.

„Fumie“ („Tret-Bild“) nennt sich jene Bronze-Abbildung von Jesus, die die Verwaltung Japans im 17. Jahrhundert einsetzte, um – in einer Reaktion auf die christliche Missionierung durch Europäer – die Konvertiten in der eigenen Bevölkerung zu entlarven. In der visuellen Sprache von Martin Scorseses jüngstem Werk „Silence“ wird die Fumie zur eindrücklichsten Symbolik für die eigene Gewissensprüfung: Immer wieder erlebt der Zuseher, wie ein lehmverschmierter Fuß nicht auf das Heiligenabbild treten will, und damit einen – zudem – unschönen Tod riskiert. Das Interesse von Scorsese gilt aber weniger der eigenen Sterblichkeit als der Schuld, die man auf sich lädt, wenn man sich zu seinem Glauben bekennt, als Strafe dafür aber andere sterben müssen. „Silence“ ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Endō Shūsaku und folgt zwei Jesuiten-Missionaren (Andrew Garfield, Adam Driver), die sich 1638 aus Portugal aufmachen, um einen angeblich vom Glauben abgefallenen Mitbruder (Liam Neeson) in Japan aufzuspüren, der nunmehr selbst den japanischen Bräuchen folgend, dort leben soll. Die Ungeheuerlichkeit der Apostasie hängt drohend wie ein Schwert über den beiden Jesuiten, und in Scorseses Inszenierung kann es schon einmal vorkommen, dass ein Körper, dem der Kopf abgeschlagen wurde, über weißen Sandboden gezogen wird, während die Kamera aus der Vogelperspektive betrachtet, wie der Rumpf eine dünne, rote Blutlinie diagonal durch den Bildkader zieht. Diese Blutlinie nimmt die so nicht intendierte Geschichtsschreibung der beiden Jesuiten-Pater vorweg, die schon bald nicht mehr mit der Suche nach ihrem Mentor Ferreira (Neeson) beschäftigt sind, sondern unter Scorseses Anleitung in den Strudel einer regelrechten Christenverfolgung geraten. Während Scorsese mehrfach den Tod, etwa durch Kreuzigung, in den Blick rückt, entschwinden seine beiden Protagonisten zusehends als tonangebende Kraft: Pater Rodrigues (Garfield) und Pater Garupe (Driver) kamen zwar nach Japan, um in höherem Auftrag das buddhistische Inselreich in einen christlichen Gottesstaat zu verwandeln, verlieren aber bald jeden missionarischen Elan, während sie aus Büschen und später durch hölzerne Gitterstäbe die japanische Reaktion beobachten. Dieses Rückzugsgefecht bietet Raum für die Ambivalenz von Rodrigues’ Innenleben: In Monologen, die aus dem Off zu hören sind, lässt Scorsese seinen Padre mit sich hadern. Während er sich weigert, auf die Fumie zu steigen, töten die japanischen Behörden immer aufs Neue unschuldige Bauern, die zum Christentum konvertiert sind. Als Rodrigues einmal sein Gesicht in einer Lacke betrachtet, blickt ihm jemand entgegen, von dem bald nicht mehr klar ist, ob es Jesus oder Judas ist. Das vielleicht größte Pathos von Filmen mit frühchristlichen Helden ist jenes, das diesen den Märtyrertod für ihre aufrechte Haltung beschert. Genau das verweigert „Silence“ jedoch seinem Helden und konzentriert sich dabei auf die moralischen Dilemmata seiner Hauptfigur.

Das jahrzehntelange Bemühen Scorseses, diesen Stoff zu verfilmen, ist auch der Inszenierung anzumerken. Kaum eine Szene, die nicht überambitioniert wirkt, getragen von einem seltsamen Pathos, das das Publikum immer wieder auf das ethische Problem dieser zwei Hauptfiguren drängt und dabei einiges an Redundanzen in Kauf nimmt. Man vermisst einmal mehr jene Gelassenheit, die Scorseses frühe Filme auszeichnete, die aus sich heraus einen unheimlichen Druck erzeugten, unter ihrer Fassade der Coolness. Einzig die Figur des „alten Samurai“, vom japanischen Comedien Issei Ogata mit zwiespältiger Ironie verkörpert, bringt ein wenig Entlastung aus der Schicksalsschwere des Films. „Silence“ ist über 160 Minuten vor allem auch eine Prüfung für das Publikum.