Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Gunnar Landsgesell · 25. Mär 2022 · Film

Rotzbub

Über zehn Jahre hat die Entwicklung des ersten österreichischen Animationsfilms gedauert, nun bevölkern die Figuren von Manfred Deix das Kino. "Rotzbub" ist die Geschichte Österreichs in den Sechziger Jahren, in typischer Deix-Dramaturgie zwischen Kirche, Sex und derber Komik.

Ein kleiner Ort in Österreich in den Sechziger Jahren, die Zeit scheint hier eingefroren. In Siegheilkirchen heben der Dorfpolizist und manch anderer noch den Arm zum Gruß, hier bekommen Roma Lokalverbot, und der Schäferhund des Friseurs heißt natürlich Blondi. Für alle, die die bissigen Karikaturen von Manfred Deix noch aus "profil" oder "Spiegel" kennen, ist "Rotzbub" so etwas wie eine Reise in die Vergangenheit. Das liegt aber nicht nur daran, dass der Film lose auf der Biographie von Deix basiert, der im niederösterreichischen Böheimkirchen dieser Zeit aufgewachsen ist. Sondern das liegt vor allem daran, dass Deix' Protagonisten aus der Kriegsgeneration mittlerweile verschwunden sind. Auch wenn Deix heute noch Kurz oder Nehammer mit seiner unverkennbaren Ästhetik ins Bild setzen würde, hat sich das Land in den vergangenen Jahrzehnten doch verändert. Vielleicht auch deshalb der Rückgriff auf die Sechziger, wo sich im Film quasi Deix' Archetypus des Landes findet: eine Fassade einfältiger Gutmütigkeit, hinter der die Gemeinheit schlummert. Allerdings gibt es auch Menschen mit dem Herzen am richtigen Fleck, so wie den liberalen Wirten Poldi, dem Roland Düringer seine Stimme verleiht. 

Deix: musealisiert

Der titelgebende "Rotzbub" ist natürlich Deix selbst. In Schlaglichtern skizziert der Film die Welt des Buben: der Vater ein gutmütiger Wirt, der einen Arm im Krieg verloren hat und der nun aus finanziellen Gründen auch die alten Nazis in seinem Gasthaus bewirten muss. Der Pfarrer, der noch Watschen verteilt und dessen Moral kaum über den Bibelunterricht in der Schule hinausreicht. Die nackerten Frauen, die der Rotzbub zeichnet und die reißenden Absatz im Dorf finden. Und das Roma-Mädchen Mariolina (Stimme: Gerti Drassl), das Deix' Ehefrau Marietta nachempfunden ist, in das sich der Rotzbub verliebt. Die Figuren mit ihren feisten Gesichtern, den Bäuchen und dicken Waden, denen der hinterfotzige Charakter gnadenlos in die Physiognomie eingraviert ist, das alles ist gut getroffen. So als wären die Karikaturen von damals zum Leben erwacht. Allerdings wird deutlich, dass die ärgsten Giftpfeile, die Deix abschoss, hier im Köcher bleiben. "Rotzbub" ist ein Film, der sein Publikum (anders als der 2016 verstorbene Karikaturist) nicht vor den Kopf stoßen möchte. Unter der Regie von Marcus Rosenmüller ("Wer früher stirbt...") und des spanischen Animationskünstlers Santiago Lopez Jover entstand eine deixische Light-Variante, die ihre kleinen Gemeinheiten und Provokationen sorgsam dosiert für den internationalen Markt einsetzt. Das passt auch gut zur Antiquiertheit der hier aufgerollten Gesellschaft der Sechziger Jahre, die durchaus ihre Komik hat. Dass Deix einen Nerv getroffen hatte und teils heftige Emotionen auslöste, lässt der Film nur erahnen. Herbert Krejci, Ex-Generalsekretär der Industriellenvereinigung, verwehrte sich öffentlich dagegen, dass der Psychiater Erwin Ringel und Manfred Deix die Österreicher als "von perversen Denkvorstellungen geleitete Menschen" darstellten und sie als "Alpintrotteln Europas" abstempelten. Heute ist Deix Kunst und Kult, im Landesmuseum in St. Pölten musealisiert und nun auch als Film für die Popkultur aufbereitet. Allerdings verstand es Deix, das "ewige Kind", schon zu Lebzeiten, die von ihm auf die Schaufel genommenen, zugleich für sich einzunehmen. So bleibt auch in "Rotzbub" offen, ob die Zuseher über sich lachen oder über die anderen.