"Rickerl – Musik is höchstens a Hobby" derzeit in den Vorarlberger Kinos (Foto: 2010 Entertainment / Giganten Film)
Gunnar Landsgesell · 24. Jun 2021 · Film

Quo vadis, Aida?

"Quo vadis, Aida?" rollt die Ereignisse rund um das Massaker von Srebrenica im Juli 1995 auf. Erzählt wir durch die Augen der Lehrerin Aida, einer fiktiven Figur im Zentrum eines auf Augenzeugenberichten basierenden Geschehens. Der Film lief im Wettbewerb von Venedig.

Srebrenica steht bis heute für das größte Massaker seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Während des Bosnienkrieges hatte die Armee der Republika Srpska unter der Führung von General Ratko Mladić gemeinsam mit serbischen Paramilitärs tausende Männer und Frauen in Bussen aus der bosnischen Kleinstadt deportiert und danach 8.400 großteils Buben und Männer im Umland ermordet. Der ethnisch motivierte Massenmord ist mittlerweile als Genozid von der internationalen Staatengemeinschaft anerkannt. Brisant: Während Mladić spät aber doch vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal verurteilt wurde, ist die Rolle der Blauhelme bis heute nicht vollständig geklärt. Die Selektionen und Deportationen hatten vor den Augen niederländischer UN-Soldaten stattgefunden, ein schwieriges Geschichtskapitel, dem sich die bosnische Regisseurin Jasmila Žbanić nun in ihrem Spielfilm "Quo vadis, Aida?" widmet. Den Ereignissen von damals dramaturgisch gerecht zu werden, gleicht einer Gratwanderung, die Žbanić mit einem Kunstgriff gelöst hat. Sie nahm vieles aus den Berichten des Übersetzers, Überlebenden und Buchautors Hasan Nuhanović und verdichtete authentische Zeugenberichte in der Kunstfigur Aida, aus deren Blick der Film erzählt wird. Auch wenn der Zugang ihr einige kritische Stimmen einbrachte, bewährt sich die fiktionalisierte Figur im Film als Vermittlerin zentraler Fragen und als erzählerische Instanz.

Vom Innenleben im Krieg

Aida, von der serbischen Theater- und Filmschauspielerin Jasna Đuričić mit dem nötigen Nachdruck verkörpert, changiert im Film zwischen den Orten höchster Bedrängung: Sie ist bei angespannten Verhandlungen dabei, in denen die UN-Soldaten der Bevölkerung noch Sicherheit garantieren, um sie kurz darauf serbischen Freischärlern auszuliefern. Durch ihre Augen wird beobachtet, wie der Leiter der UN-Einheit dem Kriegsverbrecher Mladić das Feuerzeug für die Zigarette hinhält. Und mit ihrem Argwohn wächst auch die Unruhe des Zusehers, wenn die Militärs schon allein mit ihrer Körpersprache ausdrücken, dass sie in der UN-Sicherheitszone die Chefs sind, während die Blauhelme mit Uniform in kurzen Hosen hilflos, fast lächerlich wirken. Mladić, forsch und unverrückbar wie ein Fels vom serbischen Schauspieler Boris Isaković dargestellt, ist in Žbanićs Film kein Mann für Verhandlungen. Er gibt die Regeln vor, und auch im Fall seiner Gefolgsleute hat man kein Problem, die Bad Cops von den Soldaten der UNO zu unterscheiden. Diffiziler wird es, wenn es um die niederländischen Kommandeure Karremans (Johan Heldenbergh) und Franken (Raymond Thiry) geht. "Ich bin nur der Pianist", sagt einer von ihnen einmal. Den Weg zur Katastrophe packt der Film in ein Netz aus Unstimmigkeiten und Zögerlichkeiten zwischen den beiden Akteuren, deren falsche strategische Einschätzungen und schließlich auch die Tatsache, dass die angeforderte Verstärkung aus der Luft nie eingetroffen ist. Die Frage der Moral lässt sich aus diesen Szenen nicht wegdiskutieren. Einen Kriegsfilm hat Žbanić nicht inszeniert, Kampfhandlungen finden sich nur am Rande. Es ist ein Film, der aus dem Zentrum menschlichen Leids erzählt, von Verlust und Vertrauensverlust, der sich so unausweichlich zusammenbraut wie der Tornado in einem Katastrophenfilm. Dabei übt sich Žbanić nicht in Spekulation, sondern versucht, mögliche Abläufe mit der äußeren Eskalation in Beziehung zu setzen. Die Bilder dazu liefert die österreichische Kamerafrau Christine A. Maier ("Nordrand", "Licht") mit gewohnter Präzision. Sie bringt Intimität in jene Szenen, in denen Aida sich an die Zeit vor dem Krieg erinnert, oder wo in kurzen Zwiegesprächen Hoffnung über die Zeit danach aufflackert. Zwischen scheinbar sicheren Rückzugsräumen und jenen Szenen, in denen tausende vertriebene Menschen an den Zäunen des UN-Lagers hängen, ist es in "Quo vadis, Aida?" nur ein kurzer Moment. Darin drückt sich auch Žbanićs Antrieb aus: die Diskrepanz zwischen dem Versprechen der Sicherheit und der begonnen Auslöschung der bosniakischen Bevölkerung deutlich zu machen. Die fiktionale Protagonistin Aida, die im Film auch versucht, ihre Familie zu retten, tritt dahinter fast zurück. Mit diesem Film hat Žbanić, die übrigens seit Jahren mit der österreichischen Produktionsfirma coop99 (Barbara Albert, Jessica Hausner) verbunden ist, einen weiteren Teil ihrer Bosnien-Chronik vorgelegt. Schon in "Grbavica" bearbeitete sie die Vergewaltigungen bosnischer Frauen als Kriegsmittel. In "Na putu" erzählte sie von einem jungen Ehemann, der islamisch radikalisiert aus dem Bosnienkrieg zurückkehrt.