Anna Hints‘ preisgekrönter Dokumentarfilm „Smoke Sauna Sisterhood“ ist derzeit in den Vorarlberger Kinos zu sehen.
Gunnar Landsgesell · 25. Sep 2020 · Film

Persischstunden

Ein Jude überlebt, weil er dem KZ-Mann beteuert, Perser zu sein. Klingt nach einer Fabel, ist es auch. "Persischstunden" gleicht einem Kammerspiel, das die Shoa nicht banalisiert, aber eine hypothetische Begegnung auf des Messers Schneide durchexerziert. Übrigens als Koproduktion an Schauplätzen in Weißrussland gedreht.

Es gibt bereits einige Verfilmungen, die sich auf historische Ereignisse beziehen, in denen Juden auf wundersame Weise den Nazi-Terror und Konzentrationslager überleben. „Persischstunden“ übertrifft sie alle, und das liegt daran, dass die Geschichte erfunden ist. Der Autor Wolfgang Kohlhaase hat sie Anfang der 1950er-Jahre unter dem Titel „Die Erfindung der Sprache“ verfasst. Der Drehbuchautor Ilya Zofin hat sie für den Film adaptiert. Auch, wenn im Vorspann auf „wahre Begebenheiten“ verwiesen wird, hat man es hier mit einer Fabel zu tun, und genau in diesem Tonfall ist der Film auch erzählt. Ein belgischer Jude namens Gilles (Nahuel Pérez Biscayart) wird von Nazis verschleppt und kann sich vor einer Exekution retten, indem er behauptet, gar kein Jude, sondern Perser zu sein. Ein persisches Vokabelbuch, in dem der Name Reza steht, soll das belegen. Im KZ trifft er auf den Hauptsturmführer Koch (Lars Eidinger). Der möchte nach dem Krieg nach Teheran auswandern und deshalb die Sprache erlernen. Gilles, der sich nun Reza nennt, erfindet in Todesangst immer neue Vokabel, mit denen er sein Leben verlängert, ständig in Gefahr, aufzufliegen.

Beängstigende Sinnbilder mit perversem Witz 

Diese Dynamik erinnert nicht zufällig an „Geschichten aus 1001 Nacht“. Auch dort ist die Erzählerin genötigt, für den König immer neue Geschichten zu erfinden, um nicht exekutiert zu werden. „Persischstunden“ lebt in der Inszenierung des jüdisch-ukrainisch-amerikanischen Regisseurs Vadim Perelman von einer geradezu märchenhaften Spannung. Während die Bilder im Milieu der Totenkopf-SS präzise die Banalitäten der Herrenmenschen neben deren Monstrositäten platzieren und dabei immer wieder einen geradezu perversen Witz versprühen, bleiben die äußeren Umstände der Erzählung vage. Ein Zwischenlager, in dem Tod und Folter allgegenwärtig sind, wird von einer dräuenden Kamera und bläulich scheinenden Bildern umkreist, in denen man sich in einem Zwischenreich wähnt, jedoch ohne geographische Bezüge. Die Fabel des Films besteht aber nicht in der Darstellung des Nazi-Regimes, sondern in der fast kammerspielhaften Beziehung zwischen Reza und Koch. Auch wenn einem die Darstellung des Nazischergen als biederer Mensch, der in einem kurzen Zeitfenster hochgespült und grenzenlose Gewalt ausüben kann, bekannt vorkommt, verblüfft die irritierende Intimität, die sich in „Persischstunden“ nach und nach zwischen beiden Figuren aufbaut. Man ist per Du, und als Reza in einer (alb-)traumähnlichen Szene in den Wald flüchtet, wo ihm ein Mann an einem Feuer begegnet, kehrt er – von unwegsamen Sümpfen umgeben, wie es heißt – freiwillig wieder in das Grauen des Lagers zurück. Erst langsam versteht man die Idee dieses Films, der von der Möglichkeit, von einer hypothetischen Begegnung erzählt, die die Auseinandersetzung mit der Shoa auf eine abstraktere Ebene stellt. Die Kunstsprache, die Reza – immer auf des Messers Schneide – erfindet, besteht aus Silben der Namen der Ermordeten in diesem Lager. Ohne dass es der SS-Mann weiß, spricht er auf diese Weise über seine eigenen Taten. „Persischstunden“ banalisiert den Holocaust dabei nicht, sondern findet beängstigende Sinnbilder für ein Kapitel Zeitgeschichte. Flankiert wird die Beziehung des Herrenmenschen und seines „Günstlings“ von einer kleinen Riege weiteren KZ-Personals, das vor allem dazu dient, um von den Hierarchien des Systems zu erzählen, in dem (frei nach Hannah Arendt) jeder immer jemand über und auch unter sich hat. Die Tragikomödie, die „Persischstunden“ (eine Gratwanderung) ist, besteht aber sicherlich nicht darin, wie Gilles in der Rolle des Reza sein Leben rettet. Sondern in der Person des SS-Mannes, dessen Darstellung einer Mischung aus Brutalität und naivem Feinsinn immer wieder die Grenze zur Nazi-Parodie überschreitet.