Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Gunnar Landsgesell · 31. Mär 2021 · Film

Oeconomia

Mit einer simplen Frage reißt Regisseurin Carmen Losmann das Dilemma unseres Wirtschaftssystems auf: Wo kommt das Geld her? Verdutzte Fachleute ringen um Erklärungen, dabei ist laut Film die Sache recht eindeutig: Geld wird über Kredite produziert. Die Schulden des einen sind die Gewinne des anderen. Das Problem dabei ist allein: Wie können immer neue Kreditnehmer motiviert werden, dass unser Wirtschaftswachstum nicht ausrinnt? Ein faszinierender und ebenso sachlich dirigierter Dokumentarfilm. Zu sehen heute und morgen im Cinema 2000 in Dornbirn. Hoffentlich auch noch die nächsten Tage.

Eine simple Frage und verdutzte Gesichter: Regisseurin Carmen Losmann sucht Banker, Finanzvorstände, Vermögensverwalter und Portfolio Manager auf, um ihnen die scheinbar naive Frage zu stellen: Wo kommt das Geld her? Manche reagieren unwirsch, viele wollten gar nicht mit Losmann reden, und jene vor der Kamera tun sich sichtlich schwer, zu beantworten, wie ihre Unternehmen Geld produzieren. Thomas Mayer, Ex-Chef-Ökonom der Deutschen Bank, spricht es einfach aus: „Banken produzieren Geld über Kreditvergabe. Deshalb müssen immer neue Kredite vergeben werden, um den Laden in Schwung zu halten.“ Und genau dahin wollte auch Losmann mit ihrem Dokumentarfilm „Oeconomia“: Geld wird dadurch generiert, dass irgendjemand Kredite aufnimmt. Oder so formuliert: Die Gewinne des einen sind die Schulden des anderen. Das heißt aber noch lange nicht, dass das Geld auch in der realen Wirtschaft zirkuliert. Im Film lässt sich Losmann vorführen, wie Geld „entsteht“ und bietet dabei einen der wenigen fast komischen Momente des ansonsten hart an der Fragestellung manövrierten Films: Ein Bankbeamter führt vor der Kamera vor, wie er einen Kredit vergibt. Er fährt mit der Maus über den Bildschirm, füllt ein paar Zahlen in seinem Computerformular aus und sagt dann: „Ich klicke auf ‘Speichern der Daten' und damit ist die Geldschöpfung vollzogen.“ Und schon wieder wurde das Wirtschaftssystem vor dem Austrocknen bewahrt.

Das Ende der Fahnenstange

Mit „Oeconomia“ ist Losmann nach ihrem brillanten Film „Work Hard - Play Hard“ (2011) das Kunststück gelungen, komplexe Materie zu zähmen. Sie will nicht polemisieren wie Michael Moore, sie übernimmt sich auch nicht wie viele Dokumentarfilme, die sich angesichts der Größe ihrer Themen im Nebulosen verlieren. Losmann bleibt immer möglichst konkret, investigiert und insistiert und versteht es, in der Sache verständlich zu bleiben. Die ideologische Kritik hinter dem Film ist klar. „Wir müssen das Wirtschaftssystem so transferieren, dass uns das Geld nicht ausgeht, nur weil wir nicht weiter wachsen“, sagt Carmen Losmann in einem Interview. Der Kern ihres Films zielt darauf ab, herauszuarbeiten, dass die Spirale zwischen immer neu zu vergebenden Krediten und daraus lukrierten Gewinnen nie abreißen darf, weil das Spiel sonst zu Ende ist. Bemerkenswert, dass Losmann auch einen Venture Finanzmann findet, der das als grundsätzliches Problem des Kapitalismus einräumt. Irgendwann, sagt er, sei dieses System nicht mehr ausbaufähig und damit am Ende. Auch wenn die Fahnenstange noch nicht so bald erreicht ist, hat man es jetzt schon mit gesellschaftlichen Verwerfungen zu tun: Solange wirtschaftliche Leistung und Schulden sich gleichermaßen erhöhen, steigt automatisch die soziale Ungleichheit. Zwar lässt sich Losmann nicht verleiten, Betroffene in einem Seitenstrang plakativ einzubauen. Dennoch vermittelt „Oeconomia“ in der Bildsprache die technokratische Kühle einer Finanzwelt, die von sozialen Zusammenhängen distanziert scheint. Glas und Stahlbeton dominieren auf expressive Art; Bankgebäude wuchten sich wie die neuen Kirchtürme der Welt in die Höhe und ermöglichen vor allem Blicke nach unten. So sucht Losmann einen Fachmann nach dem nächsten heim und stellt ihre Fragen. Man könnte einwerfen, dass sie die Geldwirtschaft nicht umfassend genug beleuchtet, dass Banken nur in einem ganz limitierten Ausschnitt erscheinen und die Wirtschaftschefs der fokussierten Fragestellerin kaum entkommen. Doch das Paradigma unserer Wirtschaft, wie Gewinne entstehen und Geld „produziert“ wird, bleibt. Denn wenn niemand sich verschuldet, geht uns das Geld aus. Interessante Lektüre dazu auch vom mittlerweile verstorbenen David Graeber: Schulden: Die ersten 5000 Jahre.