Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Walter Gasperi · 04. Jun 2011 · Film

Mütter und Töchter

Rodrigo Garcia erzählt in seinem Episodenfilm parallel von drei Frauen in Los Angeles, die ganz unterschiedliche Beziehungen zu ihren Töchtern, aber auch zu ihren Müttern haben. Mit exzellenten Darstellern entfaltet der Sohn von Garbriel Garcia Marquez ein breites Spektrum der Beziehungen und Gefühle, das allerdings gegen Ende an Dichte verliert.

Eine jugendliche Liebesszene geht über in eine Teenagerschwangerschaft, die wieder in das Bild einer erwachenden Frau um die 50 übergeht. Nur im Kino ist so eine Eröffnung möglich, in der in weniger als einer halben Minute wortlos ein halbes Leben erzählt wird.

Verunsicherte Mutter, bindungsscheue Tochter

Schuldgefühle plagen die Physiotherapeutin Karen (Annette Bening), seit sie als 14-Jährige auf Drängen ihrer Mutter ihr Kind zur Adoption freigegeben hat. Jetzt lebt sie allein mit ihrer greisen Mutter. Nie mehr ist sie eine Beziehung eingegangen. Abweisend und schroff reagiert sie, als ein geschiedener Kollege sich für sie interessiert. Mal geht sie mit ihm aus, dann brüskiert sie ihn wieder. In jedem Blick und jeder Geste von Annette Bening spürt man, wie verunsichert diese Frau ist, wie sehr sie sich nach Nähe und einer Beziehung sehnt, aber gleichzeitig auch davor zurückschreckt. Erst nach dem Tod ihrer Mutter wird sie sich öffnen und wird, ermuntert von diesem Kollegen, den sie heiratet auch versuchen ihre einst weggegebene Tochter wieder zu finden.
Diese Tochter ist zur erfolgreichen Anwältin Elizabeth (Naomi Watts) geworden, will keinen Kontakt mit ihrer leiblichen Mutter, will sich auch nicht binden, sondern unabhängig und selbstständig bleiben. Kurze Affären mal mit ihrem afroamerikanischen Chef (Samuel L. Jackson), dann mit dem verheirateten Nachbarn reizen sie, doch wirklich zählt für sie nur die Karriere. Wie ihre Mutter lässt sie niemanden wirklich an sich heran, gibt nichts von sich preis, nimmt sich nur, was sie will. Ganz ungeplant und überraschend wird sie dann doch schwanger und entwickelt überraschende Muttergefühle.

Unerfüllter Kinderwunsch

Die hätte auch gern die Afroamerikanerin Lucy, die aber nicht schwanger werden kann. Ausweg stellt eine Adoption dar, doch ihr Mann ist davon gar nicht begeistert, geht zwar zu den ersten Gesprächen mit der Institution und einer in Frage kommenden werdenden Mutter, trennt sich dann aber aufgrund des Wunsches nach einem eigenen Kind von Lucy. Doch auch für Lucy findet Garcia einen Ausweg.

Breites Panorama an Schicksalen und Gefühlen

Schon in den Ensemblefilmen „Gefühle, die man sieht“ und „Nine Lives“ erkundete Rodrigo Garcia in paralleler Erzählweise einfühsam weibliche Gefühlswelten. Die Strategie funktioniert auch in diesem Film, bei dem der auf solche Erzählweisen bislang spezialisierte Alejandro Gonzalez Inarritu als ausführender Produzent fungierte. Vielschichtige Frauenporträts zeichnet Garcia, die gerade in ihren Brüchen, ihrer Verletzlichkeit und Schroffheit packen. Rund fließt auch die Erzählung, mühelos funktioniert der Wechsel zwischen den einzelnen getrennt verlaufenden Erzählfäden. Wo die Filme Inarritus aber durch die komplexe Verschränkung mehrerer Geschichten einen Mehrwert entwickeln, da bleibt es hier erzählerisch bei der Parallelität, während sich inhaltlich durch die Vielfalt der Schicksale freilich ein breites Panorama entfaltet. Als Schwachpunkt erweist sich dabei gerade das Finale, in dem Garcia die einzelnen Handlungsstränge zusammenführt. Zu gezwungen wirkt das, als dass es wirklich überzeugen könnte.

Weichgespültes Ende

Auch gleitet der Film gegen Ende zu sehr in Nebensächliches ab, vergisst auf konsequente und konzentrierte Weiterentwicklung der einzelnen Geschichten. Da verschwindet Lucys Mann ebenso sang- und klanglos aus dem Film wie Elizabeths Boss und Geliebter, den Samuel L. Jackson mit großer physischer Präsenz spielt. Zu wenig entwickelt um wirklich packen zu können, werden dafür andere Randfiguren wie ein blinder Teenager oder die junge Mutter, deren Kind Lucy adoptieren möchte.
Was packend mit gebrochenen Figuren begann, wird mit dem Zielpunkt eines versöhnlichen Finales immer harmloser, zahnloser und weichgespülter. Nett muss „Mütter und Töchter“, der im englischen Originaltitel "Mother and Child" auch auf die christliche Verbindung von Maria und Jesus anspielt, enden und für fast alle glücklich. Nichts Schweres darf zurückbleiben, denn mit Wohlgefühl und getröstet soll der Zuschauer mit der Botschaft, dass die Zeit, die man miteinander verbringt wichtiger ist als die biologische Verbindung, aus dem Kino entlassen werden.