Musiker:innen aus Südafrika und Kolumbien prägen den besonderen Charakter des Pforte Kammerorchesters Plus. (Foto: Aron Polcsik)
Gunnar Landsgesell · 20. Sep 2012 · Film

Liebe

"Amour" ist ein, wie bei Haneke üblich, sehr präzise gestalteter, aber auch sehr persönlich angelegter Film über ein betagtes Ehepaar, das im Angesicht des Todes auslotet, was Liebe heißen kann.

Nachdem Michael Haneke mit „Das weiße Bantd“ erstmals ein ganzes Gesellschaftsbild einer Epoche wagte, um sich mit den Wurzeln totalitärer Gewalt auseinander zu setzen, hat er nun, wie zu erwarten, einen kleineren Rahmen gewählt. „Amour“ entwickelt sich als Kammerspiel rund um ein 80jähriges Ehepaar, in dem Liebe, Tod und vor allem Verantwortung eng geführt werden. Was passiert, wenn einer der beiden Eheleute zu einem Pflegefall wird?

„Amour“ ist aber keine sozialkritische Bearbeitung einer gesellschaftlichen Problematik, sondern findet in der Liebe den Motor ihrer Erzählung. Damit wird dieser Film zum wohl persönlichsten des Regisseurs, der sich gerne – und auch hier – über strenge Tableaus und die Problematisierung „vergletscherter“ Emotionen mitteilt. Liebe bedeutet hier somit nicht das Aufbrechen hin zum Sentimentalen, sondern fast schon funktional die harsche Herausforderung in einer ganz bestimmten Situation. Wie geht Georges (Jean-Louis Trintignant) damit um, dass Anne (Emmanuelle Riva) nach einem Schlaganfall zunehmend die physischen und letztlich auch psychischen Kräfte abhanden kommen. Hanekes Inszenierung ist einmal mehr ein höchst diszipliniertes und, man kann es nicht anders beschreiben, präzises Stück Film, in dem der Rhythmus sich so weit verlangsamt, bis die beiden Darsteller sich nicht nur räumlich in ihrer Wohnung sondern auch geistig von der Welt abgekoppelt haben. Kurze Besuche ihrer Tochter (Isabelle Huppert) werden zunehmend als invasiv empfunden. Das Sterben, das zu Beginn des Films in der blumenumrandeten Totenmaske von Anne (und im Geruch der Verwesung) seinen Ausdruck findet, wird zu einem Commitment zweier Eheleute.

Ein Film von großer Klarheit

Trotz dieser morbid angelegten Szenerie und dem bedächtigen Tempo des Films ist die für Hanekes Filme typische Kraft zu spüren, die in und über all diesen Szenen liegt. In jedem, sicherlich schon im Drehbuch sorgsam ausgewählten, Handgriff, ist etwas von der Unberechenbarkeit, vom dräuenden Übel zu spüren, das diese Protagonisten hier zusammenschweißt. Als sehr persönliches Werk des Autors betrachtet ist übrigens interessant, dass dieser das Gewicht der Angst nicht auf den (seinen eigenen) körperlichen Verfall, sondern auf die Verantwortung des Anderen legt. Aufgrund eines Versprechens, das Georges Anne gibt, sie nicht in ein Pflegeheim abzuschieben, fordert er sich im Verlauf des Geschehens immer stärker. Der Film über das Glück, nicht allein zu sein, wendet sich langsam. Diese Bewegung ist vom 81jährigen Trintignant mit bestechender Klarheit und Geradlinigkeit in Szene gesetzt, und noch mehr von der 84jährigen Riva. Im Interview mit dem „Standard“ erzählt Trintignant, wie er in einer Szene zeigen wollte, was er als Schauspieler könne, als Haneke ihm erklärte, das sei zwar toll, er sei aber ausschließlich an dem interessiert, was sich zwischen diesen beiden Figuren ereigne.
Wie üblich vergisst Haneke auch in „Amour“ nicht auf sein Publikum. Er formt den idealen Rahmen, um sich immer wieder auch seiner eigenen Beobachterposition und auch seiner Sinne gewahr zu werden. Eine lange, emblematische Szene zu Beginn, konfrontiert den Publikumsraum des Kinos mit dem eines Theaters. Während die Leute langsam Platz nehmen, hat man viel Zeit, praktisch sich selbst zu beobachten. So oder so gilt das dann auch für den restlichen Film.