"Mit einem Tiger schlafen": Anja Salomonowitz‘ Spielfilm über die Künstlerin Maria Lassnig derzeit in den Vorarlberger Kinos (Foto: Stadtkino Wien Filmverleih)
Gunnar Landsgesell · 26. Jul 2019 · Film

Leid und Herrlichkeit

Pedro Almodóvar, Meister der Groteske, hält die Luft an, um Rückschau zu halten. Durch die Augen eines mürrischen Filmemachers (wahrhaft zerzaust: Antonio Banderas) blickt man auf ein Leben zurück, dem die Aufregung nur noch aus der Distanz anzumerken ist. "Leid und Herrlichkeit" weiß über lange Strecken Ernsthaftigkeit mit verspielten Petitessen zu verbinden.

Die Beziehungen der Menschen werden von Opfern geprägt, heißt es einmal in „Leid und Herrlichkeit“. Aber stärker noch in diesem Film von der Vergangenheit, über die kein Gras wachsen will. Nicht bei Salvador, einem seelisch eingekapselten Filmregisseur, dem wir zuerst unter Wasser begegnen. Ein Mann, der die Luft anhält und das Leben scheinbar zum Stillstand gebracht hat. Ein Mann in einer Blase, leidgeprüft durch Krankheiten aller Art, den Blick vor allem nach hinten gerichtet. Antonio Banderas, notorischer Starschauspieler, erfindet sich für diese Rolle fast neu: farblos, zerzauster, rattenartiger Look, geplagter Gesichtsausdruck, kühler Blick, wenn es um sein Werk geht und all jene, die es verhunzt haben. So wie der Schauspieler Alberto (Asier Etxeandia), mit dem er deshalb 32 Jahre kein Wort gewechselt hat. Nun ist dieser Salvador alt und müde, und als sein Film in einer restaurierten Fassung wieder im Kino anläuft, probiert er einen Neustart, erbringt ein Opfer und schaut kurzerhand beim verhassten Alberto vorbei. Man raucht etwas Heroin und betäubt das Leid. Die Herrlichkeit folgt darauf aber eher nicht.

Ein Moment auf der Kippe

Der 70-jährige Pedro Almodóvar blickt durch die Augen seiner Hauptfigur ein bisschen auf sein eigenes Leben zurück. Er tut das mit einer ungeahnt pfleglichen Haltung, bricht Erinnerungen an seine Mutter (Penélope Cruz, im Alter: Julieta Serrano) auf, an seinen früheren Liebhaber und eine glückliche Zeit, an die Ordensschule, in der man dem Buben (Asier Flores als Salvador) bis auf das Singen nichts beigebracht hatte, oder auf die Höhlenwohnung seiner Eltern, in der er als Pubertierender einem Maler zusieht, wie dieser sich wäscht. Als wäre es die Erotik, die in der Luft liegt, und nicht der Sonnenstich, fällt das Kind just in diesem Moment in Ohnmacht. „Leid und Herrlichkeit“ ist ein Drama der leisen Töne, denkt man an Almodóvars überdrehte Grotesken wie „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ oder „Volver“. Der erzählerische Ernst liegt meilenweit entfernt von den spekulativen Bildern eines Films wie „Die Haut, in der ich wohne“ (2011), mit denen der Meister der Farce sich effektiv verausgabte. Seine jüngste Arbeit erzählt von einem Moment des Stillstands, in dem so einiges wieder in Bewegung gerät. Das gilt für den Film und Almodóvars Arbeit gleichermaßen. Mit Banderas hat er einen fabelhaften Interpreten für diese zwiespältige Situation: Banderas wechselt ungekünstelt zwischen leerer Existenz und verblüffend warmherzigen Blicken, und scheint fast organisch mit der Rolle verwachsen. Es sind die Opfer, die man im Leben zuweilen bringt, die diesem alten Misanthropen (anders als Anna Magnani in Pasolinis „Mamma Roma“, die DVD ist im Film auf einem Tisch zu sehen) irgendwie nicht gelingen wollen. Almodóvar erzählt bedächtig, aus einer sicheren Distanz, lässt seinen langjährigen Kameramann José Luis Alcaine die Figuren immer wieder über Blickachsen konfrontieren. Das ist  intensiv, spannungsreich und erschöpft sich erst gegen Ende des Films. Es ist natürlich keine private Seite, die der Regisseur mit seinem Konzept der „Autofiktion“ hier präsentiert, aber er vermittelt ein spezifisches Gefühl für einen Schwebezustand, einem Moment auf der Kippe, das man bei Almodóvar so schon länger nicht erlebt hat.