"Mit einem Tiger schlafen": Anja Salomonowitz‘ Spielfilm über die Künstlerin Maria Lassnig derzeit in den Vorarlberger Kinos (Foto: Stadtkino Wien Filmverleih)
Gunnar Landsgesell · 12. Sep 2019 · Film

Gut gegen Nordwind

Daniel Glattauers Erfolgsroman "Gut gegen Nordwind" über eine unorthodoxe Beziehung per E-Mail lotet die Frage aus, welche Freiheiten zwei unbekannte Menschen haben, sich alles zu sagen, ohne Rücksichten, die durch Nähe entstehen. Alexander Fehling und Nora Tschirner sind auf den Spuren dieses Experiments, allerdings mit einer deutlichen romantischen Schlagseite.

Es ist eine jene deutscher Produktionen, bei denen alles so aufgeräumt wirkt wie im Werbespot eines Möbelhauses. Das Basilikum in der Küche hat kein welkes Blättchen, der Blick auf den Garten ist Toptraumhaus und man fährt Mercedes. So lebt Emmi (Nora Tschirner) an der Seite ihres Mannes, einem Dirigenten, etwas gelangweilt, die zwei Kinder spielen auch im Film eine Nebenrolle. Es dauert aber eine Weile, bis Emmi einem im Film auch physisch begegnet. Daniel Glattauers Erfolgsroman „Gut gegen Nordwind“ (2006) handelt von einer Liebesbeziehung, die sich über E-Mails entspinnt. Der Linguist Leo (Alexander Fehling), von seiner Freundin gerade wieder verlassen, reagiert auf einen Weihnachtsgruß per Massenmail mit einer sarkastischen Antwort. Die ihm unbekannte Frau erwidert diesen nicht minder schlagfertig, eine unorthodoxe Mailfreundschaft entwickelt sich. Regisseurin Vanessa Jopp verweilt lange Zeit bei Leo und lässt diesen, mal hadernd, mal sehnsüchtig, ins Blaue schreiben. Auch das Publikum darf sich in dieser Zeit aus den Antworten der Unbekannten ein eigenes Bild machen. Das hat ein bisschen etwas von der Konstellation der Traumfrau, die der Mann (und durch ihn Glattauer) sich ausmalt. Jopp durchbricht das nicht, vielleicht durch ihre Besetzung von Tschirner, die Erwartungen unterläuft.

Setting einer romantischen Beziehung

Zugleich kann Jopp mit ihrem Film auf eine inspirierte, witzige und auch schlüssige Romanvorlage zurückgreifen. Hier stimmt der Tonfall im bürgerlichen Milieu, die schnell angekratzten Stimmungen, die schwankenden Gefühlslagen und die Ausbruchsfantasien. Auch wenn „Gut gegen Nordwind“ visuell gerade jene Momente intensiver Gefühle nicht unbedingt originell in Szene zu setzen vermag (ein echtes Feuerwerk als Sinnbild für Gefühlsaufwallung), erzeugt der Film doch in Passagen jene Reibungsflächen, mit denen man es hier zu tun hat. Der Linguist, der von der Freiheit träumt, einer Frau alles sagen bzw. schreiben zu können unter jener Prämisse, dass er sie eben nicht kennt. Auf der anderen Seite die Gesprächspartnerin, die scharfzüngige Antworten verschickt, von der zugleich aber behauptet wird, sie sei eine Frau, die unter der Dusche die Augen schließen kann, um sie in einer anderen Umgebung zu öffnen. Die Klammer von Glattauers dramaturgischer Idee ist das Ersehnte, das dann verpufft, sobald es eintritt: So wie die quälende Sehnsucht des Linguisten nach Nähe, die er aber nicht zulassen kann. Oder Emmi, die im Alten verharrt, obwohl sie für etwas Neues bereit ist. Für die Unrast, das Zwischenstadium solcher Gefühlslagen, wirkt Jopps Film etwas zu verharrend, man wünscht sich für diese gedankliche Vorlage Glattauers mehr Aufbruch, mehr unternehmerisches Risiko, und weniger prätentiöse Tableaus, wenngleich vom Witz des Buches doch einiges erhalten bleibt. Eine innige Umarmung in diesem letztlich klassischen Setting einer romantischen Beziehung scheint so gesehen nur noch eine Frage der Zeit.