Neu in den Kinos: „The Room Next Door“ (Foto: Warner)
Mirjam Steinbock · 12. Sep 2019 · Tanz

Das Ostschweizer HOUSE OF PAIN Physical Dance Theatre beschäftigt sich in „FEEDING CROCODILES“ mit dem Thema Angst

Seinem Namen wird es gerecht: HOUSE OF PAIN, das von den professionellen Tanzschaffenden Jasmin Hauck, Cecilia Wretemark und David Schwindling gegründete Tanztheater, beschäftigt sich mit oft an der Schmerzgrenze angesiedelten Themen. Solchen, die manche eher im Dunkeln lassen würden. Eine Kostprobe der extrem physikalisch umgesetzten und nicht selten provokanten Performance-Betrachtungen menschlichen Verhaltens gab das Ostschweizer Kollektiv dem Vorarlberger Publikum vor einigen Jahren mit „Trieb Werk“ in der Remise Bludenz. Die neueste Produktion dreht sich um die Auswirkungen von Angst und ist aktuell in der Grabenhalle in St. Gallen zu sehen.

„FEEDING CROCODILES“ stammt aus der choreografischen Feder von Cecilia Wretemark und Jasmin Hauck, die für dieses Stück den Performer und Videokünstler Kristian Breitenbach auf die Bühne einluden. Ebenfalls Teil des künstlerischen Teams ist die bildende Künstlerin Johanna Knöpfle, die ein beeindruckendes Bühnenbild schuf, das sich mit einer Installation aus Gipsplatten organisch in die multimediale Inszenierung einfügt. Bei Eintritt in den Saal sind die beiden Bühnenelemente mit Abbruchstücken von Gipsplatten, die an weißen Seilen von der Decke hängen, bereits beleuchtet. Der Raum ist in Nebel gehüllt, an einem Tisch sitzt Kristian Breitenbach, der sich über einen Rechner beugt. Das Stück beginnt leise und kaum merklich. Cecilia Wretemark wird man erst gewahr, als sie sich plötzlich aus den Gipsplatten erhebt. Zu einem dumpfen Soundteppich des Musikers Joel Gilardini bewegt sie sich vorsichtig durch eines der beiden einem Durchgang ähnelnden Bühnenelemente. Der knirschende Gang der mit Staub bedeckten Tänzerin über zerbrochene Platten und der einem Donnergrollen gleichende Soundteppich lassen die Szenerie wie das fotografische Dokument eines zerbombten Hauses wirken. Generell lässt das Stück viel filmische Vergleiche zu – nicht zuletzt durch Einspielungen wie „Pure Shores“ der Band All Saints, die damit die Titelmusik zum Film „The Beach“ lieferten.

Doppeldeutigkeit des Themas
Im Aufeinandertreffen mit Videokünstler Breitenbach, der sich oft simultan zur Tänzerin bewegt, Licht, Mikrofon und Kamera auf sie richtet, den Raum mit einer Lampe erkundet und oft wie der Avatar eines Videospiels agiert, wird eine Polarität des Themas Angst dargestellt. Auch durch das Lichtdesign von Robin Pushparatnam, der zu gleichen Teilen kalte und warme Stimmungen auf die Figuren wirft, erhält die Doppeldeutigkeit eines der stärksten Gefühle unseres Daseins an Gewicht. Sowohl lebenserhaltend als auch -bedrohlich zeigt sich Angst und wirkt sich nicht nur auf das Individuum, sondern auf eine gesamte Gemeinschaft aus. Welche Bewegungen daraus entstehen können, stellt Wretemark eindrücklich dar. Ihr Tanz, den sie immer wieder drehend, in kraftvollen Sprüngen, geschmeidig verrenkt und höchst artistisch ausführt, lässt das Hauptthema geradezu attraktiv wirken.

Fliehen, angreifen oder aushalten
Die Doppelung spiegelt sich nicht nur im Darsteller-Duo. Auch die Projektionen der Live-Kamera, die die Performer übergroß auf die Gipsflächen überträgt, regen durch den Perspektivenwechsel zum Eintauchen in eine tiefere Ebene an und machen das Spannungsfeld zwischen analogem und digitalem Leben anschaulich. Für einen besonderen Aha-Effekt sorgt der Moment, in dem Cecilia Wretemark zwischen den Gipselementen der Projektionsfläche hervorschaut und ihr realer Kopf in ihrem übergroß projizierten geöffneten Mund zu sehen ist.
Mit Sprache und Text arbeitet das Kollektiv gekonnt. Wenn die Tänzerin am Boden sitzt und in pfeifendem Ton atmet, bis sich ihr Keuchen in einem langen stummen Schrei entlädt oder sie über das aus Angstgefühlen resultierende Verhalten referiert, wird die Bandbreite ihres darstellenden Vermögens bewusst. Die Texte, die Wretemark und Breitenbach in allen Tempi und überlappend vortragen, gleichen Handlungsanweisungen zum Umgang mit Ängsten. Hier und da erinnern die Darsteller an Flugbegleiter, die das Anlegen von Rettungswesten erläutern. Wo genau Angst eine Gestalt annimmt und sich übertragen kann, bleibt in diesem Stück ungeklärt, aber das scheint auch eher nebensächlich. Es werden genau die Momente beleuchtet, aus denen Stillstand oder Aktivität resultieren. Während am Ende Kristian Breitenbach den Kopf zwischen den Gipsplatten vergräbt, bahnt sich Cecilia Wretemark zielgerichtet den Weg nach draußen auf die Straße und konfrontiert das Publikum mit dem Leben außerhalb. Und auch wenn das Stück hier und da Längen aufweist und es keinen für das Publikum deutlichen Schluss gibt, wird bewusst, welches Potential im Thema von FEEDING CROCODILES liegt: am Ende liegt die Entscheidung zwischen Flucht, Angriff oder Auseinandersetzung bei jedem selbst.

Letzte Aufführung am 18. September 2019 um 20 Uhr in der Grabenhalle St. Gallen (CH)!
www.houseofpain-physicaldancetheatre.com