Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Gunnar Landsgesell · 23. Apr 2021 · Film

Glory to the Queen

Vier Frauen aus Georgien beherrschten jahrzehntelang den internationalen Schachsport. In diesem Porträt schlägt der Film eine schöne Brücke zwischen einer hierzulande unbekannten Geschichte und einem Blick auf das postkommunistische Georgien, in dem die früheren Schachmeisterinnen heute leben.

Nana, Nona und Maia sind in Georgien beliebte Vornamen für Mädchen. Offenbar aber weniger aus Tradition als aus Gründen der Huldigung an vier Schachweltmeisterinnen, die zwischen den Sechziger Jahren bis zum Ende der Sowjetunion den internationalen Schachsport dominierten. Die georgische Regisseurin Tatia Skhirtladze, sie unterrichtet zur Zeit in Wien an der Angewandten, lässt zwischen den Kapiteln immer wieder neue stolze Namensträgerinnen zu Wort kommen und schafft damit eine Brücke zur Gegenwart. Detail am Rand: Nicht hinter jeder Nana, Nona oder Maia standen schachbegeisterte Eltern. Ein Sowjet-Komitee dürfte mit einigen Eltern noch ein „beratendes“ Gespräch geführt haben.

Zeitensprünge 

Das schöne an „Glory to the Queen“ ist, wie sich hier eine neue Welt auftut, von der man wenig bis nichts wusste. Um sie zu betreten, muss man sich nicht durch staubige Archive vorarbeiten, sondern trifft mit den Schachmeisterinnen heute vier unverwechselbare Charaktere. Nona Gaprindaschwili ist die Pionierin, die vielen anderen Frauen den Weg bereitete. Etwa Nana Alexandria, die ihr als Weltmeisterin folgte, Nana Iosseliani und Maia Tschiburdanidze. Noch immer ist zwischen den Frauen neben der jahrzehntelangen Vertrautheit eine gewisse Spannung oder Konkurrenz zu spüren. Dabei ist (für den Zuseher) in den Begegnungen weniger wichtig, wer wen besiegt hat, sondern der ungeheure Zeitsprung, den der Film recht geschickt produktiv macht. Auch wenn die Frauen auch heute noch dem Schachsport verpflichtet sind, sie besuchen Schulen, leiten Turniere usw., so ist doch wenig von der sowjetischen Glorie geblieben, mit der die jungen Frauen damals umgeben waren. Im postkommunistischen Georgien, das wie viele der Staaten im ehemaligen „Ostblock“ nicht zu den Gewinnern des kapitalistischen Transfers gehören, lässt Regisseurin Skhirtladze immer wieder eine Ahnung vom Alltag in dem Schwarzmeer-Anrainerstaat zu. Aber immer noch gibt es einen Haufen von Kindern, im Bild vor allem Mädchen, über die sich die Linie der Schachspielerinnen fortsetzt. Geradezu skurril wirken hingegen jene Aufnahmen aus der Sowjet-Zeit, als man die Schachmeisterinnen wohl einem größeren Publikum bekannt machen wollte. Da wird die eine gezeigt, wie sie für ihren Mann kocht, während dieser mit der Zeitung im Wohnzimmer sitzt. Einmal führt die Mutter die Tochter am Arm durch die Landschaft, als wäre diese in ihrem Leben orientierungslos. Und als Nana Iosseliani bei einem Turnier den zweiten Platz erringt, wird ihr als Preis eine Puppe in die Hand gedrückt, die wie die Aufforderung zur Mutterschaft wirkt. Auch daran lassen sich die Ambivalenzen des realsozialistischen Weges ablesen, zwischen Fortschritt und Paternalismus bestand nicht selten eine ziemliche Kluft. Um die Brücke zwischen Gestern und Heute auf humorvolle Weise zu schlagen, arrangiert Regisseurin Skhirtladze immer wieder Szenen, die mit historischen Aufnahmen korrespondieren, um in kleinen, witzigen Zeitsprüngen die Ereignisse von damals mit Begegnungen heute parallel zu setzen. Man trifft sich beim Turnier um die Weltmeisterschaft in Moskau, wo ein gestrenges männliches Publikum im Saal dem Spiel folgt, während andernorts die aktuellen Spielzüge von begeisterten Männern nachvollzogen werden. Man sieht, wie Nona von begeisterten Massen am Bahnhof empfangen und gefeiert wird. Oder wie sie Modell sitzt, während ein Bildhauer eine Büste anfertigt. Der Sozialismus war um Helden bzw. Heldinnen nie verlegen, auch in diesen Bildern zeigt sich, wie die Überlegenheit des Systems demonstriert wurde. So gesehen mussten wohl auch diese jungen Frauen im Sinn der Partei eine überlebensgroße Rolle einnehmen. Heute sieht man Nona in einem Veranstaltungssaal, wo sich die Kolleginnen von einst wieder treffen und auch Fans gibt es noch, die ein Autogramm haben wollen. Angewiesen darauf scheint aber keine der Frauen zu sein. Sie halten in "Glory to the Queen" weniger ihre Vergangenheit hoch als ihre Überzeugung, dass aus der Verbindung von Schach und Engagement etwas Großes entstehen kann.