Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Gunnar Landsgesell · 25. Okt 2012 · Film

Die Vermessung der Welt

Ein Erfolgsroman ist noch kein Erfolgsfilm. "Die Vermessung der Welt" unter der Regie von Detlev Buck bleibt auf halbem Weg zwischen Historienfilm und Komödie stecken. Eine Schmonzette.

Als das Mathematikgenie Carl Friedrich Gauß, nach langen intellektuellen Leidensjahren, endlich einmal das simple Volk aus seiner Kleinstadt hinter sich gelassen hat, und nun, einem Lebenswunsch folgend, ehrfurchtsvoll im Arbeitszimmer des großen Immanuel Kant in Königsberg steht, um mit ihm auf Augenhöhe zu philosophieren – da hat der alte Philosoph nichts mehr zu sagen. Er stiert Gauß an wie die mumifizierte Mutter aus Hitchcocks „Psycho“, Alkohol und Gift (das Pfeilgift Curare!) haben seinen Geist bereits ausgelöscht. Diese tragische Konstellation ist der vielleicht einzig wirklich komische Moment in Detlev Bucks, tja, wie soll man diesen Film benennen, Historien-Farce über zwei Genies: den Mathematiker Gauß (Florian David Fitz) und den Weltenforscher Alexander von Humboldt (Albrecht Schuch). Die Tücken der Literaturverfilmung wurden erst kürzlich bei der Verfilmung des Haushofer-Romans „Die Wand“ sichtbar. Nun stellt sich auch im Fall von Kehlmanns Bestseller-Verfilmung der „ Vermessung der Welt“ die Frage, ob das ursprüngliche Konzept des Autors, eine Anbindung zweier weit entfernter Figuren durch einen stillen, lakonischen Tonfall herzustellen, in der Verfilmung nicht in eine schrullige, phasenweise dem Comic anverwandte Form gekippt ist. Das Grunddilemma des Zuschauers ist, wie er die Figuren dieses Films nun nehmen soll: Nimmt er sie ernst, konterkarieren sie das sogleich durch kindliches Verhalten oder unfreiwillige Komik. Lachen funktioniert aber auch nicht so richtig, eine Comedy ist laut und komisch, ohne dass sie ihre Akteure unterminiert. Bei der „Vermessung“ bleibt man mit Buck aber irgendwo in der nivellierenden Mitte stecken, während sich rundherum an den Rändern ungenutzte Räume auftun.

Endlose Kalauer

So wandert man mit dem deutschen Naturforscher Humboldt durch den südamerikanischen Urwald, wo dieser spontan Sklaven befreit und sich mit seinem französischen Assistenten in nationalen Klischees ergeht. Man unterbricht die Liebesszene mit Gauß, weil dieser aus dem Bett springt und spontan einen (genialen) Einfall notiert oder betrachtet durch seine Augen den infantilen Herrscher (Michael Maertens als Herzog), der gar nicht versteht, was sein Stipendiat Gauß eigentlich tut. Und es scheint, als hätte auch Buck, der kleine Formate wie „Karniggels“, „Hände weg vom Mississippi“ formidabel beherrscht, den Blick für das Größere seiner Verfilmung verloren. (Das konnte offenbar auch der filmisch unerfahrene Kehlmann, der am Drehbuch beteiligt war, nicht verhindern.) Gauß und Humboldt, zwei Menschen, die es auf neues, unerforschtes Terrain trieb, die eine fast ketzerische Unrast verspürten und der alten Ordnung neue Perspektiven entgegenhielten – sie bleiben bei Buck über ihren Auftrag ziemlich ratlos. Einmal kaut Humboldt an einer gekochten Menschenhand, er ist unter Kannibalen, und was sich als provokante Frage des Umgangs mit neuen Kulturen auftun könnte, gerät hier zur Szene wie aus einer Klamotte. Mit dem stattlichen Budget von zehn Mio. Euro war es der Produktion immerhin möglich, große Bilderbögen vor Ort zu entwerfen. In 3D, das aber keinen Mehrgewinn bringt. Ein Schmetterling entpuppt sich im Zeitraffer im Regenwald, dieser selbst entfaltet sich aber recht unabhängig von der Erzählung, deren sinniger Handlungsort er ja sein sollte. Das satte Grün und die blassen Handlungsfragmente finden aber nicht zusammen. So hat man am Ende einen Film gesehen, der das erhoffte Spaßpotenzial Bucks nicht abruft, eine historische Bilderreise für Wissensdurstige aber durch seine Selbstpersiflage auch verhindert. So kalauern sich zwei Sonderlinge durch drei Stunden. Hätte Gauß, der, enttäuscht von seinem Königsberger Besuch, Kants Flasche Pfeilgift für den Suizid mitnimmt und trinkt, gewusst, dass Curare nur im Blut wirkt, wäre der Film schon früher aus gewesen. Humboldt hätte es ihm erzählen können.