„Kaffee und Zucker?“ Dokumentartheater im TAK in Liechtenstein © Pablo Hassmann
Walter Gasperi · 16. Mär 2019 · Film

Die Erscheinung

Ein traumatisierter Kriegsberichterstatter, der der Kirche fernsteht, soll den Vatikan bei der Prüfung einer angeblichen Marienerscheinung unterstützen. – Xavier Giannoli gelang ein inhaltlich ungewöhnlicher, aber packender Mix aus Thriller und Drama über Glaube, Wahrheit, Wunder in einer rationalen Welt und die Sehnsucht nach Heilung und Erlösung.

Soeben hat Kriegsberichterstatter Jacques Mayano (Vincent Lindon) seinen langjährigen Fotografen und Freund in Syrien durch einen Anschlag verloren. Von Schuldgefühlen geplagt und gepeinigt von einem Ohrensausen kehrt er nach Frankreich zurück und zieht sich in sein Haus zurück, dessen Fenster er mit Kartons abdunkelt.
Eindrücklich spielt Vincent Lindon diesen zutiefst erschütterten und ausgebrannten Journalisten. Irritiert ist er zunächst, als er einen Anruf vom Vatikan erhält, denn mit der Kirche hat er nichts zu tun, doch die Einladung zu einem Gespräch im Vatikan weckt doch auch wieder sein Interesse.

Nüchterner und sachlicher Blick

„Rom“ titelt Xavier Giannoli das erste Kapitel seines Films, fünf weitere werden folgen. Im Vatikan erfährt Jacques, dass er eine Kommission, die im Südosten Frankreichs den Fall einer angeblichen Marienerscheinung prüft, unterstützen soll. Nüchtern und sachlich, aber gerade dadurch spannend bietet Giannoli Einblick in die Archive des Kirchenstaats und die Vorgangsweise bei Meldungen solcher Erscheinungen.
Zunächst versucht man sie zu ignorieren, doch da nun in das Dorf am Fuße der Alpen, in dem der 16-jährigen Novizin Anna (großartig gespielt von Galatéa Bellugi) vor zwei Jahren die Jungfrau Maria erschienen sein soll, immer mehr Pilger strömen, kann man nicht mehr darüber hinwegsehen. Als Grundsatz gilt aber: „Besser ein Wunder für falsch erklären, als einem Betrug aufsitzen.“

Instrumentalisierung einer Seherin

So reist Jacques in diese ihm fremde Welt eines Wallfahrtsorts. Mit seinen Augen blickt der Zuschauer nicht nur auf die tiefgläubige und ruhige junge Seherin, sondern gewinnt auch Einblick in deren Instrumentalisierung.
Während sie nämlich der Ortspriester abschirmt und kontrolliert, benutzt sie ein windiger deutscher Prediger (Anatole Taubman), um ihre Erscheinung per Internet weltweit zu vermarkten. Im Ort wiederum blüht der Handel mit Devotionalien wie Schneekugeln und T-Shirts mit Annas Konterfei und auf der anderen Seite gibt es wieder die vielfach kranken Pilger, die von der jungen Frau Heilung und Erlösung erhoffen.

Struktur eines Thrillers

Dicht zeichnet Giannoli dieses Bild vielschichtiger Interessen, baut aber andererseits auch Thrillerspannung auf, indem er Jacques hartnäckig recherchieren lässt. Während der Theologe, der Priester und die Psychiaterin, die mit ihm der Kommission angehören, nämlich auf Gespräche mit Anna und die Untersuchung eines mit Blut beschmierten Schweißtuches, das als Reliquie gilt, setzen, versucht der Journalist Einblick in Annas Biographie und Beziehungen zu gewinnen. In klassischer Krimimanier führt er Gespräche mit ihren früheren Pflegeeltern und Bekannten, legt eine Pinwand mit Fotos und Informationen an und kommt langsam einem Geheimnis auf die Spur.

Mysteriöses hinter dem Sichtbaren?

Zunehmend wird dadurch nicht nur seine feste Überzeugung erschüttert, dass es nichts hinter der sichtbaren Welt gibt, sondern langsam löst sich auch sein Trauma auf. Reichlich überkonstruiert wirkt zwar das Finale, wenn sich der Kreis zum Anfang in Syrien schließt, und mit 140 Minuten ist dieses Drama auch etwas zu lang geraten.
Andererseits packt „Die Erscheinung“ durch das für einen Film ungewöhnliche Thema und den Ernst, mit dem Giannoli Fragen nach Wundern und dem Geheimnisvollen und nicht Erklärbaren in einer rational denkenden Welt, Geschäftemacherei und die tiefe Sehnsucht nach Erlösung und Heilung diskutiert. – Da nimmt man dann auch die dick auftragende sakrale Musik, für die großteils Arvo Pärt verantwortlich zeichnet, in Kauf.