Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Gunnar Landsgesell · 24. Nov 2017 · Film

Detroit

Mehrere Tage tobten in Detroit 1967 Straßenschlachten zwischen der Polizei und den schwarzen Bewohnern des Viertels. In "Detroit" gipfelt exzessive Polizeigewalt in einer Art Geiselnahme in einem Motel, das am Ende nicht jeder lebend verlässt. Regisseurin Kathryn Bigelow rekonstruiert ihren Film nach realen Ereignissen als eine Tortur fast im Direct Cinema Stil. Ein intensives, ambivalentes Erlebnis voller Ambivalenzen.

Detroit, 1967: Eine von der Polizei brutal durchgeführte Razzia in einer Bar führt zu dem, was später als „12th Street Riots“ bezeichnet wird. Tagelang liefern sich Bewohner des schwarzen Viertels und Beamte Straßenschlachten, am Ende wird sogar die Armee einrücken. Regisseurin Kathryn Bigelow webt Archivaufnahmen ein und zeigt fast dokumentarisch eine Ruinenlandschaft, die Gegend wird in den Medien als rechtsfreie Zone beschrieben. „Detroit“ nimmt sich Zeit, um den Dynamiken auf den Straßen zu folgen, Polizeiübergriffe und Plünderer sind zu beobachten, Schüsse auf Flüchtende ebenso wie Brandschatzungen. Ein Blick auf ein System der Gewalt, ohne klassische Dramaturgie und zugleich ein Vorspiel auf das, was darauf – sehr konkret – folgen wird. Ganz jäh kommt dieser Film zu einer unheimlichen Ruhe, wenn Bigelow diese Kriegsszenarien verlässt und in das Algiers Motel wechselt. Larry Reed (Algee Smith) und sein Freund, zwei Mitglieder einer aufstrebenden afro-amerikanischen Soulband, treffen dort auf zwei weiße junge Frauen, mit denen es zu einem Flirt kommt. Anwesend sind ein paar schwarze Bekannte, darunter der 17-jährige Carl (Jason Mitchell). Die Stimmung ist locker, als Schüsse zu hören sind und Beamte des Detroit Police Department das Motel stürmen. Ab diesem Zeitpunkt findet sich der Zuseher in einer Art alptraumhafter Situation, aus der es kein Entkommen gibt. Zwei junge weiße Polizisten (u.a. Will Poulter) beginnen unter der Mittäterschaft anderer Beamter ein gewalttätiges Verhörspiel, das mit der Exekution dreier unschuldiger Menschen endet. Selten wird man im Kino so strapaziert, vom Augenzeugen regelrecht selbst zur Geisel des Geschehens. Unerbittlich packen Bigelow und ihr langjähriger Autor Mark Boal (The Hurt Locker, Zero Dark Thirty) zu, buchstabieren die Auswirkungen von Machtmissbrauch und Rassismus durch. Sie haben auf Basis realer Ereignisse ein Klima ausufernder Gewalt rekonstruiert, das – so steht natürlich zu befürchten – vor Gericht die Verantwortlichen dafür nicht finden wird.

Perspektive der Machtlosigkeit


„Detroit“ affiziert sein Publikum durch seine rohe, nackte Form wie kaum ein anderer Kinofilm in diesem Jahr. Wie schon in ihren letzten Arbeiten sucht Bigelow mit einem Quasi-Direct-Cinema-Ansatz möglichst präzise und unmittelbar Situationen erlebbar zu machen. Das bringt wohl auch jene Ambivalenzen mit sich, die diese ungewöhnliche Dramaturgie bedingt: Ist das die geeignete Form, um von komplexen Phänomenen wie Rassismus und gesellschaftlicher Ungleichheit zu berichten? Und wird hier durch zwei sadistische Beamte als emblematische „Hassfiguren“ nicht ein strukturelles Problem verwässert? Oder ist in den Ereignissen im Algiers Motel vielmehr die Spitze der damaligen Geschehnisse zu sehen? Immerhin stellt Bigelow dem Film einleitende Sätze voraus, die eine Linie bis zur Sklaverei ziehen und damit vom ersten Moment auf obszöne Machtverhältnisse verweisen, die sich bis heute, etwa in Form von Polizeigewalt, fortsetzen. „Detroit“ ist kein zeithistorisches Epos, das die Hintergründe der Gewaltausbrüche von damals rekonstruiert, und auch kein Stück heroischer, schwarzer Geschichtsschreibung, sondern vor allem ein emotionaler Belastungstest für sein Publikum, der mit Action im klassischen Sinn wenig zu tun hat. Sondern ein fiktiver Augenzeugenbericht, ein Experiment, verschoben in die Perspektive absoluter Machtlosigkeit, wie wenn man selbst an der Wand stehen würde.