Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Gunnar Landsgesell · 03. Jun 2022 · Film

Der schlimmste Mensch der Welt

Mal melancholisch, mal heiter, so präsentiert sich Joachim Triers letzter Teil seiner losen „Oslo“-Trilogie: das Porträt einer jungen Frau, die ihre Rolle im Leben noch sucht, zwischen Beziehungen mäandert und lieber neue Wege geht, als sich festzulegen. Eine Coming-of-Age-Geschichte, die stark von der Präsenz der norwegischen Darstellerin Renate Reinsve geprägt wird.

Eine Reihe ikonischer Bilder unterlegt von einer Erzählstimme eröffnen „Der schlimmste Mensch der Welt“: Schlaglichter auf Julie, Ende 20, die offenbar noch auf der Suche nach ihrer eigenen Rolle im Leben ist: sie hat es einmal mit Medizin probiert, studierte dann kurz Psychologie und entdeckt sich mit der Fotografie wieder neu. Der Prolog, den Regisseur Joachim Trier den 12 Kapiteln seines Films voranstellt, steckt thematisch bereits das Terrain ab: Es geht um die Unsicherheiten und das Ausloten der eigenen Möglichkeiten, die Trier mit seiner Protagonistin ergründen möchte. Lose, ähnlich wie in Tagebucheinträgen, begleitet man Julie (Renate Reinsve), wie sie eine Beziehung mit dem älteren Comic-Zeichner Aksel (Anders Danielsen Lie) beginnt, der offenbar mit Sexismus-Vorwürfen konfrontiert wurde, sie zugleich aber auch auf intellektueller Ebene interessiert; aus dem ungleichen Paar droht eine konventionelle Beziehung zu werden, womit Julie nach einer spielerischen Begegnung mit einem unbekannten jungen Mann namens Eivind (Herbert Nordrum) eine intuitive neue Partnerschaft beginnt. Und auch hier bleibt das Unstete, bleibt die Suche eine Konstante in der Persönlichkeit von Julie. Dass sie sich dabei wie der schlimmste Mensch der Welt fühlt, weil sie ihre eigenen Möglichkeiten auslotet, klingt allerdings dramatischer, als es ist. Mit seiner mal melancholischen, mal heiteren Coming-of-Age-Geschichte geht es Trier vor allem darum, eine Lebensphase zu skizzieren, die man tendenziell einer ganzen Generation, nämlich den Millennials, zuschreiben würde.

Millennial auf Erkundungstrip

Für die 1987 geborene norwegische Schauspielerin Renate Reinsve dürfte „Der schlimmste Mensch" den großen Durchbruch in ihrer Karriere bedeuten. In Cannes wurde sie vergangenes Jahr als beste Darstellerin ausgezeichnet, während Triers Film zurecht stark über ihre Präsenz rezipiert wird. Das ist insofern bemerkenswert, als das Drehbuch von zwei Männern geschrieben wurde, von Trier und seinem Langzeit-Koautor Eskil Vogt. Glaubt man den Interviews, dürfte sich Reinsve korrigierend in die Entwicklung der Rolle eingebracht haben. Das ist insofern interessant, als es in der Beziehung von Julie und Aksel auch darum geht, dass Aksel Julie psychologisiert, anstatt ihre Entscheidungen zu respektieren; dass also Frauen auf eine paternalistische Weise durch Männer „definiert" werden. Der gesamte Film darf durchaus auch unter dieser Prämisse verstanden werden. Von der Interpretation der Rolle erinnert Reinsve an den US-Shooting Star Greta Gerwig, die u.a. mit „Frances Ha“ eine neue, interessante Frauenfigur zwischen Selbstbestimmung und Suche etabliert hatte. Triers Versuch, die Dramaturgie – und damit auch die Biographie seiner Protagonistin – möglichst offen und überraschend zu gestalten, erinnert zudem an P.T. Andersons jüngste Arbeit „Licorice Pizza"“. Beide Filme fallen dadurch auf, eben nicht die naheliegende Abzweigung zu nehmen, sondern sich einfach auch mal durch das Dickicht zu schlagen. Dieses Bestreben wurde auch schon in Triers früheren Filmen wie etwa „Louder than Bombs“ deutlich, wo es in einer Familienkonstellation nach dem Suizid der Mutter stark darum geht, die Zwischentöne, die Nuancen narrativ so aufzuwerten, dass die Erzählung nicht einsackt, sondern in einem lebensnahen Gefühl der Schwebe bleibt. In „Oslo, 31. August“ hingegen findet sich das präzise Porträt eines jungen Mannes, das – so wie „Der schlimmste Mensch der Welt“ – dazu taugt, als Generationenporträt verstanden zu werden. Der Mut von Julie, in sich selbst reinzuhören und Entscheidungen gegen eine vermeintliche Sicherheit und vorgebliche Vernunft zu treffen, kann dabei wie ein Paukenschlag in einer Zeit verstanden werden, die stark über Krisen rezipiert wird. Vielleicht liegt in dieser Leichtigkeit auch der Grund dafür, dass der Film ein großes, positives Echo erzeugt hat. Zumindest damit hat Trier doch ziemlich überrascht.