Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Walter Gasperi · 28. Jul 2012 · Film

Dein Weg

Der Jakobsweg ist „in“. Emilio Estevez schickt in seinem Spielfilm seinen leiblichen Vater Martin Sheen auf die 800km lange Wanderschaft durch Nordspanien und lässt ihn zu sich selbst finden. - Ein erfreulich unaufgeregter Film mit sanfter Komik und gelungener Verknüpfung von äußerer Reise und Figurenzeichnung.

Einen Boom erlebt der Jakobsweg in den letzten Jahrzehnten. Pilgerten in den 1970er Jahren offiziell jährlich nur einige Dutzend Menschen in den nordspanischen Wallfahrtsort, so stieg die Zahl in den 90er Jahren kontinuierlich auf Zehntausende und in den 2000er Jahren auf über 100.000. 2011 wurden 183.366 Pilger gezählt. Der Boom hat auch Auswirkungen auf den Buch- und Filmmarkt.
Zahllos sind die Publikationen über den Pilgerweg. Hape Kerkeling gelang mit seiner salopp „Ich bin dann mal weg“ getitelten Reisebeschreibung ein Besteller, Coline Serreau hat in ihrem Roadmovie „Saint Jacques – Pilgern auf Französisch“ komödiantisch von der Wandlung einer Gruppe von Pilgern erzählt.

Auf dem Jakobsweg

Von der Anlage her erinnert Emilio Estevez´ „Dein Weg“ an Serreaus Feelgood-Movie, doch der Amerikaner schielt nicht auf Gags, verleiht dafür seinem Film in der ruhigen Erzählweise wesentlich größere Tiefe. Im Mittelpunkt steht der kalifornische Augenarzt Tom Avery (Martin Sheen). Er steht knapp vor der Pension, führt ein bürgerliches Leben und verbringt die Freizeit mit Golf. Ganz im Gegensatz zu seinem Sohn Daniel scheint er sich kaum über sein bekanntes Umfeld hinaus zu begeben. Der vierzigjährige Daniel dagegen zieht es zum Unverständnis und Ärger des Vaters dagegen vor zu reisen statt sein Studium abzuschließen. Ihre gegensätzlichen Positionen kommen in einer kurzen Rückblende zum Ausdruck. Auf Toms Feststellung, er habe sich für dieses Leben entschieden, kontert Daniel: "Für ein Leben entscheidet man sich nicht - man lebt es." - Das mag eine plakative Phrase sein, die unterschiedlichen Positionen werden damit doch knapp auf den Punkt gebracht.
Da erhält Tom plötzlich die Nachricht, dass Daniel auf dem Jakobsweg tödlich verunglückt ist. Sofort fliegt er nach Frankreich, um in Saint-Jean-Pied-de-Port die Leiche abzuholen.
Er will nicht lange bleiben, nur die Formalitäten erledigen, doch dann ändert er seine Meinung. Er lässt seinen Sohn einäschern und bricht auf den Pilgerweg auf. Was den Sinneswandel bei Tom hervorrief, lässt Estevez offen: Will Tom sich mit seinem Sohn aussöhnen, indem er für ihn die Pilgerreise zu Ende führt, möchte er seinen Sohn verstehen lernen, indem er an seiner Stelle den Weg auf sich nimmt. Die Asche nimmt Tom mit und verstreut Teile davon immer wieder an markanten Punkten – fast schon ein Standardmotiv im modernen Kino von „Don´t Come Knocking“ über „Fickende Fische“ bis „Vincent will meer“.

Selbstfindung eines verbitterten Mannes

Wunderbar spielt Martin Sheen diesen verbitterten alten Mann, der sich nur ganz langsam öffnet und ändert. Sheen, der selbst gläubiger Katholik ist, zuzuschauen ist schon ein reines Vergnügen. Zwiesprache mit dem verstorbenen Sohn scheint der Vater hier zu führen, wenn Daniel (Emilio Estevez) ihm immer wieder in Einbildungen an Wegkreuzungen oder schließlich in der Kathedrale von Santiago de Compostela erscheint. Da blickt aber nicht nur ein Filmvater auf einen Filmsohn, sondern gleichzeitig auch Martin Sheen auf seinen leiblichen Sohn.
Wesentlich für die Wandlung Toms sind aber auch und vor allem die Begegnungen, die er auf seiner Wanderschaft macht. Ein stets quatschender übergewichtiger Holländer (Yorick van Wageningen), der nur pilgert um abzunehmen – und doch immer isst – gehört ebenso dazu wie eine scheinbar zickige Kanadierin (Deborah Kara Unger), die aber eine schwere innere Last trägt, und ein unter Schreibblockade leidender großmäuliger irischer Schriftsteller (James Nesbitt).

Unaufgeregte Erzählweise

Das Schöne an „Dein Weg“ ist, dass Estevez nichts besonders betont, dass sich die Wege der Pilger zunächst zufällig kreuzen, dann wieder trennen und schließlich doch langsam zusammenfließen, bis sie zu einer Reisegesellschaft werden. Dieses Selbstverständlich-Unaufgeregte kennzeichnet auch die Erzählweise. Nur wenige dramatische Akzente setzt Estevez, lässt den Film vielmehr ruhig im Wechsel von Landschaftsaufnahmen, denen die großartige Musik von Tyler Bates alles Postkartenmäßige nimmt, und menschlichen Episoden dahingleiten. Raum zum Atmen lässt „Dein Weg“ dem Zuschauer in dieser in ihrer Schlichtheit überzeugenden Erzählweise, die ganz dem Rhythmus des Pilgerns entspricht.
Da presst Estevez auch keine Bedeutung des Pilgerns hinein, zwingt dem Zuschauer nichts auf, sondern lässt ihn selbst über den Sinn einer solchen Reise reflektieren. Die religiöse Komponente spielt kaum eine Rolle, im Zentrum steht hier vielmehr die Lebensführung. „Dein Weg“ steht dabei nicht nur für den Jakobsweg, sondern stärker noch für den Lebensweg jedes einzelnen Zuschauers.

Einladung zur Reflexion über die eigene Lebensführung

Mag die Selbstfindungsgeschichte Toms auch klischeehaft, mögen die Erläuterungen eines Polizisten zum Jakobsweg auch sehr papieren pädagogisch – aber für den Film wohl nötig - , das Product-Placement für einen Outdoor-Ausrüster aufdringlich und der Versuch das negative Bild der Roma mit einer Szene zu korrigieren aufgesetzt sein, so ist Estevez mit „Dein Weg“ doch ein bildschöner, wunderbar gelassen erzählter Film gelungen, der in seiner Ruhe Tiefe und Kraft entwickelt.