Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Gunnar Landsgesell · 17. Jun 2021 · Film

Cruella

Ob man es nun als Prequel zur erfolgreichen Neunziger-Jahre-Komödie "101 Dalmatiner" sehen will oder nicht, ist nicht wirklich wichtig. "Cruella" mit Emma Stone und Emma Thompson als ebenso forsche wie unterhaltsame Antagonistinnen treiben in dieser Disney-Produktion auf stylische Weise Schabernack.

Es gibt einige hübsche Lehren in Sachen erfolgreichem Entrepreneurship, die man aus "Cruella" mitnehmen kann, etwa diese: "Jeder andere Mensch ist nichts anderes als ein Hindernis." Oder: "Du brauchst Killerinstinkt, um erfolgreich zu sein. Gut zu sein, ist zu wenig. Viele brillante Frauen sind deshalb gescheitert." Freilich stammen diese Weisheiten aus dem Mund einer ziemlich bösen Gestalt, für die Zynismus die einzige Lebenssicht ist. Baronesse Von Hellman (köstlich: Emma Thompson) hat das absolut Böse zu ihrem Erfolgsrezept gemacht und damit im London der 1970er Jahre ein Mode-Imperium aufgebaut, das ausschließlich der Kreativität ihrer Mitarbeiter geschuldet ist. Elektroschocker gehören zum Inventar und sorgen für ein seltenes Lächeln. Die verwaiste Estelle (fresh: Emma Stone) mit einem Hang zu Punk (schwarz-weiße Mähne) und viel Esprit hält sich hingegen mit zwei Gelegenheitsdieben in einem zur Wohnung umfunktionierten Lager über Wasser. Sie wird als Putzfrau und verkanntes Genie von der Baronesse entdeckt. Und ist mit ihrem rotzig-aufmüpfigen Einfallsreichtum bald deren Quell der Inspiration. Bis die junge Estelle an sich selbst eine gewisse Veränderung zum Diabolischen bemerkt. 

Zwischen Rock, Pop und Märchen  

Man kann das Punk-Märchen "Cruella" als Prequel zur Neunziger-Jahre-Komödie "101 Dalmatiner" (damals mit Glenn Close in der Hauptrolle) sehen, das von der Verwandlung einer herzensguten, aber ausgebeuteten jungen Frau erzählt, deren schleichender Weg zur ethischen Verkommenheit (Dalmatiner häuten und Mode daraus machen, etc.) hier nachgezeichnet wird. Das würde der Logik von Disney folgen, das damit an eine höchste erfolgreiche Kinoproduktion anschließen möchte. Richtig schlüssig ist das allerdings nicht. Emma Stone ist in "Cruella" als klare Antagonistin zur teuflischen Baronesse positioniert, deren Zynismus im Film - ganz Disney - eine klare Absage erteilt wird. Denn trotz des Versuchs, die literarische Vorlage von "101 Dalmatiner" aus dem Jahr 1959 nochmals zu verwerten, sind die Rollen zwischen strahlend Gut und abgrundtief Böse hier klar verteilt. Anders übrigens, als in der letzten Arbeit des australischen Regisseurs Craig Gillespie "I, Tonya", in dem er vom Duell der zwei US-amerikanischen Eiskunstläuferinnen Tonya Harding und Nancy Kerrigan noch nicht ganz so eindeutig erzählt hatte. "Cruella" ist in erster Linie eine erfrischend eigenständige Hollywood-Produktion, die zwischen Rock-Oper und Musical (auch wenn hier nicht gesungen wird), zwischen urbanem Märchen und der für Disney typischen Lust, den Schauder des Bösen auszubreiten, wechselt, selbstverständlich ohne dass das Publikum sich Sorgen über den Ausgang machen muss. Fünf Autoren haben sich am Drehbuch abgearbeitet, und es sind nicht die schlechtesten Ideen, die am Ende übrig blieben. Viele liebevolle Details, viele visuelle Einfälle, viele bekannte Nummern aus dem Rock-Fundus von den Stones ("She's like a Rainbow") bis zum Stooges-Cover ("I Wanna be your Dog") verleihen der Neuauflage von "Cruella" einen frischen Glanz. Auf den Hund gekommen ist man auch in diesem Film, auch wenn nicht jeder von ihnen real ist. Die drei unfreundlichsten Dalmatiner der Filmwelt sind wohl Disney pur. Mit der Welt der abgehobenen Modeszene, den imperialen Settings im Palais und aufgedonnerten Garderoben hat der Film zudem eine recht stringente, schlüssige Erzählinstanz, deren Zynismus regiert und dementsprechend bekämpft werden muss. Das Lumpenproletariat in Person von Estella und ihren zwei "petit voleurs" ist also gefordert, gegen die "Ich besitze alles: Straßen, Menschen, Seelen"-Ideologie der Baronesse anzutreten. Das hat Witz. Ob das in "Cruella 2", wo die Metamorphose zum Bösen fortgesetzt werden soll, auch so stimmig ist, bleibt abzuwarten. Die Fortsetzung "102 Dalmatiner" wurde in der Rezeption damals u.a. als entbehrlich beurteilt. Vermarktung ist nicht alles. "You are a wicked genius", heißt es in "Cruella" einmal. Let's see.