Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Gunnar Landsgesell · 23. Aug 2019 · Film

Blinded by the Light

Der Sohn pakistanischer Eltern im England der Thatcher-Ära findet sich im Leben nicht zurecht, bis ihm ein Freund eine Audiokassette von Bruce Springsteen zusteckt. Startschuss für eine fröhliche Selbstermächtigungstour, die näher dem Musical als dem Sozialdrama ist.

Es kommt, wie es kommen muss: Ein Junge, Javed (Viveik Kalra), sitzt zwischen den Stühlen. Im Haus seiner pakistanischen Familie erwartet man den guten Muslim, der lebt, als wäre sein Vater nie aus dem Punjab weggezogen. Draußen, auf der Straße und in der Schule, wünschen ihn einige genau dorthin „zurück“. Dabei ist Javed in Luton geboren und aufgewachsen, er ist Brite, was sonst. Um Dampf abzulassen, schreibt Javed Gedichte, die zerreißt er dann wieder. Erst als ihm ein Schulfreund eine Audiokassette von Bruce Springsteen in die Hände drückt, beginnt die verflixte Identitätsfalle zu wackeln. Während sich Javed die Lieder vom Boss reinzieht, lässt Regisseurin Gurinder Chadha („Kick it Like Beckham“) die Lyrics lustig durch das Bild schaukeln. Das sieht ein bisschen unbeholfen aus, ist trotzdem ein Angebot an die Social-Media-Generation, die angeblich lieber textet als spricht. Dem Protagonisten gelingt dennoch so etwas wie Befreiung, „I am a man now“, ruft er vom Fenster in die leere Straße hinunter. Selbstermächtigung durch Pop-Musik hat sich schon öfters als probates Mittel erwiesen, um sich in jemand anderen zu verwandeln. Oder zumindest das zu glauben. In „Blinded by the Light“ lassen sich so sogar ein paar xenophobe Halbstarke erstaunen, die Javed und seinen Freund in einem Lokal eben noch vom Tisch verdrängt hatten. Statt Faustschläge setzt es eine Tanzeinlage, singend verlassen die zwei Freunde die Kneipe.

Ein bisschen Selbstironie

„Blinded by the Light“ ist an sich eine freundliche Coming-of-Age-Story, die auf der etwas konstruierten Idee fußt, dass ein Junge mit der Kraft seines Pop-Idols die Welt aus den Angeln hebt. Er entzieht sich dem Einfluss seiner Eltern, ist plötzlich selbstbewusst genug für eine Freundin und schreibt statt Gedichten nun für die versnobte Schülerzeitung. Eine zeitlose Geschichte, hier im England der Achtziger Jahre angesiedelt, in dem Thatchers neoliberale Politik gnadenlos das Arbeitslosenheer vergrößert. Mittendrin der junge Javed, der außer den Texten von Bruce auch keinen rechten Plan hat. Das liegt vor allem an Regisseurin Gurinder Chadha, die von allem ein bisschen erzählt und die Buchvorlage von Sarfraz Manzoor („Greetings from Bury Park“) nie so richtig in den Griff kriegt. Ein großer Unernst umweht diese Geschichte, und das nicht immer freiwillig. Das Familiendrama rund um den arbeitslosen Vater wirkt unausgereift, die kurze Liebesgeschichte Javeds mit einer Schulfreundin wirkt unmotiviert und der Musikeinsatz von Bruce Springsteen nie wirklich geerdet. Dennoch generiert Chadha mit dem amerikanischen Working-Class-Hero und dem britischen Einwandererkind ein gewisses Interesse. Einige ironische Bonmots, die unvermittelt aufblitzen, wirken da schon stimmiger. So scherzt etwa Javeds Vater und einer seiner pakistanischen Freunde: „Erinnerst du dich, damals, als wir hergezogen sind, war Luton noch eine gute Stadt. Heute gibt es zu viele Pakistanis hier.“ Selbstironie ist nicht verboten: „Mein Sohn wird heiraten, er weiß es aber noch nicht.“ Dass am Ende sämtliche Gräben dieser Geschichte im Luton von ’87 zugeschüttet werden, darf man frohen Mutes sein. Das wahre England der Iron Lady hätte das aber nicht zugelassen.