Musiker:innen aus Südafrika und Kolumbien prägen den besonderen Charakter des Pforte Kammerorchesters Plus. (Foto: Aron Polcsik)
Gunnar Landsgesell · 25. Jän 2019 · Film

Beautiful Boy

Ein Vater-Sohn-Verhältnis, das auf den ersten Blick innig, aber zunehmend zerrüttet erscheint. Steve Carrell in einer seiner ernsten Rollen, in der er seinem Crystal-Meth-abhängigen Sohn einerseits der liebende Vater ist, andererseits aber der personalisierte Leistungsdruck schlechthin. Ein Film wie eine Therapie, im positiven wie negativen Sinn...

Dass Sohn Nic am Vorabend einen über den Durst getrunken hat und nun zerstört aus dem Bett klettert, dafür kann Vater David noch zähneknirschend Verständnis aufbringen. Selbst er hatte als junger Erwachsener einige Drogen ausprobiert, wenn auch nicht mehr. Im Auto verspricht Nic (Timothée Chalamet), das passiere nicht wieder. Man glaubt es ihm. „Beautiful Boy“ ist ein Film, bei dem man erst nach und nach hinter die Kulissen blickt. Im engeren Sinn kein Drogenfilm, der die Ästhetik der Bewusstseinsveränderung ausreizt, sondern seine Kreise nach außen zieht, von einem System erzählt, das bei der Drogengenese nicht unwesentlich ist. In diesem Fall: die Familie, und noch präziser: der Vater. Steve Carrell in einer seiner ernsten Rollen (und demnächst als Donald Rumsfeld in „Vice“ zu sehen) macht einen vertrauensvollen Eindruck: besorgt um sein Kind, in zweiter Partnerschaft mit einer sensiblen Frau, einer Malerin, liiert, ein angesehener Journalist in ebensolchen Medien. Wenn man zusieht, wie er sich um seinen Sohn kümmert, ihn befragt, dessen Nähe sucht, dann denkt man daran, dass dieser Vater vielleicht mehr Aufmerksamkeit für sein Kind bereithält als Väter oftmals sonst. Die Crux daran ist, wie „Beautiful Boy“ Schritt für Schritt offenlegt: Das ist Segen und Fluch zugleich. „Du lässt mir keine Luft zum Atmen“, entgegnet Nic schon recht matt seinem Vater einmal, wenn schon alles im Argen liegt. David ist ein Kontrollfreak, der Zuneigung mit Zugriff und den Erfolg des Sohnes mit dem eigenen verwechselt. Wie einen Schraubstock dreht der belgische Regisseur Felix van Groeningen die Beziehung zwischen Vater und Sohn immer enger fest, bis das Gewinde am Anschlag ist. Dann weiß niemand mehr weiter.

Fluch und Segen


„Beautiful Boy“ basiert auf einem Roman des Journalisten David Sheff, der über seine eigene Geschichte geschrieben hat. Das verleiht der Inszenierung auch einen Drall, der ein wenig irritiert. Tatsächlich geht es in diesem Film mehr um den Vater als um den Sohn. David Sheffs Perspektive gibt den Blick vor, van Groeningen hält sich strikt daran. Zwar ist darin auch eine Menge Selbstkritik enthalten, aber – paradox genug – kann sich auch der Film nicht davon lösen, was schon den Sohn plagt. Keine Luft zum Atmen, kein eigenes Leben.
Auch in „Beautiful Boy“ wird Nic noch einmal nach der Dramaturgie seines Vaters in Szene gesetzt, das hat etwas Lähmendes. Zugleich ermöglicht es selbstentlarvende Momente, die von einer gewissen Raffinesse erzählen. Als etwa David sich selbst sein Scheitern eingesteht, nimmt er die Bilder seines Sohnes von der Wand neben dem Schreibtisch ab. Dabei irritiert, zwischen welchen anderen Bildern sie hängen: Abdrucke seiner ausgezeichneten Texte, einer Cover-Story für das Wired Magazine. Der Junge erscheint wie ein weiterer Erfolg in Davids Karriere, und reiht sich quasi ein in die Trophäen seiner Arbeit. Kluge Beobachtungen, die mit einer recht kalkulierten Szenenauflösung einhergehen. Wann immer Stimmung gebraucht wird, legt von Groeningen die passende, schwelgerische, nachdenkliche oder aufrüttelnde Musiknummer drunter, egal ob von Neil Young oder einem anderen bekannten Interpreten der Popgeschichte.
Anders als der kürzlich gestartete, ebenfalls der Problematik von Drogen und Familie gewidmete Film „Ben is Back“ ist „Beautiful Boy“ eine stark psychologisch motivierte Angelegenheit. Ein Film wie eine Therapie, in der sich der Journalist aus San Francisco, David Sheff, an seiner eigenen Vergangenheit abarbeitet. Das featuret auch van Groeningen anschaulich: Steve Carrell, versteinert vom Kontrollzwang wie ein Fels, den man nicht vom Höhlenausgang wegzuschieben vermag; und Timothée Chalamet als Nervenbündel zwischen Hilflosigkeit und Selbstdestruktion, talentiert, aber zerrüttet durch die familiären Verhältnisse. Anstatt den Dingen ihren Lauf zu lassen, gräbt sich „Beautiful Boy“ in diesen Verhältnissen gewissermaßen ein. Erst lange nach dem Filmbeginn wird das Buch von David Sheff an die leibliche Mutter Nics übergeben und bringt jene Erleichterung, wenn nicht väterliche Befreiung, die sich nicht nur Nic ersehnt. Da hat man als Zuseher aber schon einiges an – durchwegs authentischen – familiären Zerwürfnissen mitgemacht.
Am Ende bleibt „Beautiful Boy“ ein Film, der alles richtig machen möchte. Den perfekten Soundtrack für die moods, den richtigen psychotherapeutischen Ansatz aus Vater-Sicht, und auch die visuelle Gestaltung, die jede Szene trägt: sei es das dunkle Geäst der amerikanischen Eichen, deren dunkles Gewirr metaphorisch die Bilder durchkreuzt, oder die Bäume vor dem Haus der Sheffs, die von Nics Stiefmutter mit freundlichen Farben bemalt wurden. Irgendwie ist man in „Beautiful Boy“, durchaus spannend, ganz nahe dran an der Misere, und zugleich vom Gefühl begleitet, man erhält hier Anschauungsunterricht. Davor schützen auch Dope und Crystal Meth nicht.