„Kaffee und Zucker?“ Dokumentartheater im TAK in Liechtenstein © Pablo Hassmann
Walter Gasperi · 07. Feb 2019 · Film

Aktuell in den Filmclubs (8.2. - 14.2. 2019)

Am Spielboden Dornbirn steht diese Woche mit „Leto“ ein mitreißender Spielfilm über die Leningrader Rockszene der frühen 1980er Jahre auf dem Programm. Das Filmforum Bregenz zeigt den brasilianischen Spielfilm "Liquid Truth - Aos Teus Olhos", in dem ein Schwimmlehrer des sexuellen Missbrauchs von Kindern beschuldigt wird.

Leto: Kirill Serebrennikov zeichnet in seinem Schwarzweißfilm ein mitreißendes und kraftvolles Porträt der Leningrader Rockszene der frühen 1980er Jahre. Im Mittelpunt stehen der Bandleader Mike und seine Frau Natascha. Man schwärmt von den großen westlichen Bands und Musikern, ständig geht es um Lou Reed, David Bowie, Velvet Underground, T Rex, die Beatles, die Rolling Stones oder die Doors.
Furios visualisiert Serebrennikov Wunschträume, wenn sich die jungen Musiker zu „Psycho Killer“ von den Talking Heads scheinbar in einem Zug allen gesellschaftlichen Regeln widersetzen oder zu Iggy Popps „The Passenger“ und Lou Reeds „Such a Perfect Day“ träumen. Mit einer durch Animationen und Schriftzüge gesteigerten frenetischen Inszenierung wird dabei virtuos die Leidenschaftlichkeit der Jugendlichen vermittelt, gleichzeitig wirken diese Videoclip-Szenen in ihrer Überinszenierung aber auch etwas wichtigtuerisch.
Bewegung kommt in die Schilderung des Lebens der Band, als Mike den jüngeren Viktor unter seine Fittiche nimmt, denn bald fühlt sich auch Natascha zu diesem Musiker hingezogen. Die Dreiecksbeziehung dieser nach realen Vorbildern gestalteten Künstler dient aber vor allem als Hintergrund für die atmosphärisch dichte Evokation dieser Zeit, in der das schier unbändige Freiheits- und Selbstverwirklichungsstreben der Jugend immer wieder durch die repressive sowjetische Bürokratie drastisch eingeschränkt wird.
Spielboden Dornbirn: Fr 8.2., 19.30 Uhr

 

Liquid Truth - Aos Teus Olhos: Ein junger Schwimmlehrer wird aus heiterem Himmel von einer Mutter des sexuellen Missbrauchs ihres Sohnes beschuldigt. Per Social Media verbreitet sie ihren Vorwurf.
Eindrücklich schildert die Brasilianerin Carolina Jabor wie schon Thomas Vinterberg 2012 in „Jagten“, wie so ein Vorwurf die Massen mobilisiert und ein Leben zerstören kann, wie emotional aufgeladen das Thema Kindesmissbrauch ist und wie schnell es dabei zu Vorverurteilungen kommt. Geschickt schürt sie dabei auch beim Zuschauer durch Perspektivenwechsel die Unsicherheit und Zweifel und lässt die Wahrheit dem englischen Titel entsprechend als fließend und flüssig erscheinen. Mal folgt sie den Eltern, blickt dann immer wieder auf den Schwimmlehrer – nur der Junge verschwindet rasch aus dem Film, denn er wird nicht mehr verhört, da er traumatisiert sei.
Gegenüber Vinterberg bringt „Liquid Truth“, der durch die Nähe zu den Figuren und die kompakte Erzählweise große Intensität entwickelt, aber auch noch die gefährlichen Folgen von Social Media wie Facebook, SMS, Twitter und Co. ins Spiel, durch die solche Beschuldigungen blitzschnell verbreitet werden, ohne dass irgendetwas geprüft würde. Und Jabor zeigt auch, wie sich mit dem Verdacht auch der Blick des Zuschauers auf den Protagonisten ändert, Handlungen und Realitäten wie die junge Freundin, mit der man vorher kein Problem hatte, nun plötzlich verdächtig wirken. – Etwas enttäuschend ist aber das allzu offene Ende, bei dem auch der Zuschauer kein abschließendes Urteil fällen kann – doch auch das ist wohl Absicht, soll deutlich machen, wie schwierig, wenn nicht sogar unmöglich es ist, zur Wahrheit vorzudringen.
Filmforum Bregenz im Metrokino Bregenz: Sa 9.2., 22 Uhr