Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Walter Gasperi · 06. Okt 2022 · Film

Aktuell in den Filmclubs (7.10. - 13.10. 2022)

Am Spielboden Dornbirn wird diese Woche als Einstimmung auf die gender*impulstage in Kooperation mit dem Verein Amazone der belgische Spielfilm "Girl" gezeigt, der intensiv von einem Jungen erzählt, der sich als Mädchen fühlt und vor einer geschlechtsangleichenden Operation steht. Bei der Bludenzer LeinwandLounge steht dagegen das spanische Drama "Maixabel – Eine Geschichte von Liebe, Zorn und Hoffnung" auf dem Programm. Icár Bollaín erzählt darin bewegend vom ETA-Terror und der Notwendigkeit der Versöhnung.

Girl: Äußerlich ist die 15-jährige Lara (Victor Polster) ein Mädchen, hat aber noch den Körper eines Jungen. Nicht nur die anstehende geschlechtsangleichende Operation, sondern auch der Druck und die Anstrengung beim Balletttraining belasten den Teenager.
So schlicht der Filmtitel ist, so einfach er klingt, so schwer ist es für Lara wirklich, ein Mädchen zu sein oder zu werden. Nicht zuletzt in diesem Widerspruch liegt eine Stärke des Films, im Bewusstmachen, wie schwierig es für manche Menschen ist, ihre innere und ihre körperliche Identität zur Deckung zu bringen. Lukas Dhont erzählt mit größter Sensibilität und Empathie für seine Protagonistin davon.
In der Nähe zur von Victor Polster intensiv gespielten Protagonistin, die in jeder Szene, ja fast in jeder Einstellung präsent ist, bietet Dhont Einblick in ihre schwierige Situation, macht aber auch bewusst, dass letztlich die Zuschauer:innen so wenig wie der Vater, Psychotherapeut und die Ärztin sich wirklich vorstellen können, was in der/dem Teenager:in vorgeht.
Das weitere soziale Umfeld spart der Belgier aus. Gerade in der Fokussierung auf Lara entwickelt sein Film enorme Dichte. Intensives Körperkino bietet er im wiederkehrenden Blick auf ihr Gesicht, in der Schilderung der Selbstkasteiung beim Ballett bis die Zehen bluten, und beim Training mit extremen Dehnungsübungen, die dem Publikum fast physische Schmerzen bereiten.
Bohrend fragt „Girl" dabei auch nach dem Verhältnis von Körper und Psyche und macht eindrücklich das Zusammenwirken bewusst, wenn mit der zunehmenden psychischen Anspannung auch der Körper schwächer wird beziehungsweise umgekehrt sich mit dem schwächeren Körper die psychische Krise steigert. Wenn Lara in der letzten Einstellung aber schließlich entschlossenen Schritts in einem U-Bahn-Gang auf die Kamera zugeht, lässt Dhont doch die Hoffnung zurück, dass diese junge Frau ihren Weg in ein glückliches Leben, in dem sie mit sich im Reinen ist, gehen wird können.
Spielboden Dornbirn: Sa 8.10., 19.30 Uhr


Maixabel – Eine Geschichte von Liebe, Zorn und Hoffnung:
Rund 830 Menschen fielen zwischen 1960 und 2010 dem Terror der baskischen Untergrundorganisation ETA zum Opfer. Icíar Bollaín greift den Fall des sozialistischen Zivilgouverneurs der baskischen Provinz Gipuzkoa Juan Maria Jauregui heraus und erzählt von Wut und Trauer der Hinterbliebenen ebenso wie später Reue der Täter. Denn elf Jahre nach dem Anschlag bitten zwei der inhaftierten Attentäter um ein Gespräch mit Maixabel Lasa, der Witwe des Ermordeten.
Kern des Films sind nicht nur diese Gespräche, sondern auch die Vorarbeit einer Mediatorin, die mit bohrenden Fragen die Reuegefühle der beiden Mörder auf ihre Echtheit prüft. Nüchtern inszeniert Bollaín nicht nur diese Gespräche, sondern auch und vor allem die anschließenden Treffen mit Maixabel.
Ganz auf die Schauspieler:innen vertraut sie hier und Großartiges leisten Blanca Portillo als Witwe und Luis Tosar und Urko Olazabal als reuige Täter. Spürbar wird in Blicken und Gesten die ungebrochene Trauer und unterdrückte Wut Maixabels, aber auch ihr Wille den Tätern eine zweite Chance zuzugestehen. Andererseits machen Tosar und Olazabal auch das Bedauern über ihre Tat und den Umstand, dass sie sich in diesen blinden ETA-Terrorismus drängen ließen, erfahrbar.
Leicht hätte dabei speziell das Finale in Sentimentalität abgleiten können, doch die sachliche Inszenierung verhindert dies. Kalt lässt dieses Drama dennoch nicht, sondern bewegt dank der konzentrierten Inszenierung und der herausragenden Schauspieler:innen mit seiner Menschlichkeit zutiefst und weist im Plädoyer für Dialog und Versöhnung statt Gewalt und Hass weit über die spanische Geschichte und den ETA-Terror hinaus.
LeinwandLounge in der Remise Bludenz: Mi 12.10., 19 Uhr


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