„Kaffee und Zucker?“ Dokumentartheater im TAK in Liechtenstein © Pablo Hassmann
Walter Gasperi · 29. Sep 2022 · Film

Aktuell in den Filmclubs (30.9. - 6.10. 2022)

Das Filmforum Bregenz zeigt diese Woche (und der FKC Dornbirn in der nächsten Woche) die wunderbar schräge griechische Tragikomödie „Mila – Apples". Bissige Gesellschaftskritik mit einem großartigen Javier Bardem in der Hauptrolle bietet dagegen „El buen patron – Der perfekte Chef", der beim FKC Dornbirn auf dem Programm steht.

Mila – Apples: Der Grieche Christos Nikou erzählt in seinem Debüt von einem einsamen Mann mittleren Alters, der nach einer Busfahrt ohne Erinnerung aus einem Nickerchen aufwacht. Kein Einzelfall ist dies, sondern auch viele weitere Menschen sind Opfer dieser mysteriösen Pandemie, die zu völligem Gedächtnisverlust führt. Weil der Mann keine Dokumente bei sich hat und sich auch keine Angehörigen melden, schlagen die Ärzte ihm ein Experiment vor, um ihm zu einer neuen Identität zu verhelfen: Er wird aus dem Krankenhaus entlassen und erhält per Tonbandbotschaften immer wieder Aufträge, deren Erledigung er mit einer Polaroid-Kamera dokumentieren soll.
Eine in sich stimmige grau in graue Welt schafft Nikou, die aber nicht trist wirkt, sondern zusammen mit dem wortkargen Protagonisten eine Atmosphäre der Melancholie evoziert. Einen surrealen Touch bekommt „Apples – Mila" dabei nicht nur durch die Handlung, sondern auch durch die Details, durch die diese Tragikomödie wie aus der Zeit gefallen wirkt. Denn einerseits gibt es hier keine Smartphones, sondern Polaroid-Kameras und Kassettenrekorder, andererseits sind Setting und Ausstattung heutig.
Immer auf Augenhöhe mit seinem Protagonisten erzählt Nikou rund und trocken, bedient sich einerseits bei Christopher Nolans „Memento" und bei Michel Gondrys „Eternal Sunshine of the Spotless Mind" und knüpft andererseits mit der melancholischen Stimmung an Spike Jonzes „Her" an. So unterhält man sich gut, gleichzeitig werden aber auch grundsätzliche Fragen nach Identität aufgeworfen und im permanenten Fotografieren kann man auch eine Kritik an der aktuellen Selfie-Leidenschaft sehen.
Filmforum Bregenz: Mi 5.10., 20.30 Uhr
FKC Dornbirn im Cinema Dornbirn: Mi 12.10., 18 Uhr und Do 13.10., 19.30 Uhr

El buen patron – Der perfekte Chef: „Blanco básculas" ist nicht nur ein Familienunternehmen, sondern der Chef Julio Blanco (Javier Bardem) impft auch den Mitarbeiter:innen immer wieder ein, dass sie alle eine Familie und er quasi ihr Vater sei, der sich um sie kümmere. Nun hat es das Unternehmen für Industriewaagen in die Endausscheidung im Wettbewerb um exzellente Unternehmensführung geschafft. Selbstverständlich ist für den charismatischen Julio klar, dass die Mitarbeiter:innen bei der finalen Prüfung der Kommission erklären werden, wie wunderbar ihr Arbeitsplatz ist. Die Probleme vom öffentlichen Protest eines entlassenen Angestellten bis zu einer jungen Praktikantin, die Julio schöne Augen macht, will Julio mit seinen Beziehungen, seiner Weltgewandtheit, seinem Geld oder seinem Charme regeln.
Ganz auf Javier Bardem zugeschnitten ist diese bissige Satire, deren Handlung durch Inserts der Wochentage gegliedert ist, und der Oscar-Preisträger genießt sichtlich diese Rolle. Nach außen freundlich zu jedem und fast immer beherrscht, deckt er hinter der Fassade den eiskalten Kapitalisten auf, den nur seine Firma interessiert, das Wohl der Mitarbeiter:innen letztlich aber kaum.
Wesentlich zum Gelingen des Films trägt neben dem großartigen Hauptdarsteller aber auch das von Regisseur Fernando León de Aranoa selbst geschriebene Drehbuch bei. Dicht gebaut ist dieses und weitet und verdichtet mit den Nebenfiguren sukzessive das Bild dieses janusköpfigen Unternehmers. Großes Vergnügen bereitet es diesem schillernden Charakter zuzuschauen. Auf Katharsis und den Sieg des Guten darf man dabei, auch wenn Julio in einem Punkt eine Niederlage einstecken muss, freilich nicht hoffen: Zu sehr ist „El buen patrón“ dazu der realen Wirtschaftswelt abgeschaut.
FKC Dornbirn im Cinema Dornbirn: Mi 5.10., 18 Uhr + Do 6.10., 19.30 Uhr



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