"Mit einem Tiger schlafen": Anja Salomonowitz‘ Spielfilm über die Künstlerin Maria Lassnig derzeit in den Vorarlberger Kinos (Foto: Stadtkino Wien Filmverleih)
Walter Gasperi · 24. Apr 2011 · Film

Aktuell in den Filmclubs (25.4. - 1.5. 2011)

Der aus Wien stammende Architekt Victor Gruen gilt als Erfinder der Shopping-Town, doch seine Visionen wurden durch Geschäftsinteressen pervertiert. Am Spielboden Dornbirn läuft diese Woche der Dokumentarfilm "Der Gruen-Effekt", in dem Annette Baldauf und Katharina Weingartner Gruens Leben und Werk nachzeichnen. Einen Klassiker des Alten Schweizer Films gibt es dagegen mit der Gottfried-Keller-Verfilmung "Die missbrauchten Liebesbriefe" im Takino Schaan zu sehen.

Der Gruen-Effekt: Unter dem Gruen-Effekt versteht man die Desorientierung, die Besucher eines Shopping-Centers angesichts der Unübersichtlichkeit und Größe des Gebäudes erfasst, eine Verwirrung, die dazu führt, dass die ursprünglichen Ziele des Besuchs und die klaren Kaufwünsche von einem ziellosen Flanieren, Schauen und Kaufen verdrängt werden. Der Name dieses Effekts geht auf den 1903 geborenen Wiener Victor Gruen zurück. Nach dem Anschluss musste er wie viele andere österreichische Juden seine Heimat verlassen, entwarf 1942 in den USA in einem Artikel die Idee der Shopping-Town, mit der er das Modell der Innenstädte alter europäischer Großstädte auf die zersiedelten amerikanischen Städte übertragen wollte. Nicht nur für Geschäftsflächen sollten hier Platz sein, sondern auch für soziale öffentliche Einrichtungen wie Kindergärten, Bibliotheken und Postämter. Ein Ort der Gemeinschaft sollten diese Zentren sein, soziale Unterschiede sollten hier aufgehoben werden, doch bald schon wurde Gruens Idee pervertiert. Profitmaximierung war die oberste Maxime und an die Stelle der sozialen Einrichtungen traten gewinnbringende Verkaufsflächen. Nichts zu tun haben wollte Gruen mit diesen reinen Einkaufstempeln und erklärte: „Ich weigere mich Alimente für diese Bastardprojekte zu bezahlen!“ Ende der 60er Jahre kehrte er nach Wien zurück und versuchte in der Wiener Innenstadt seine Visionen zu realisieren.
Annette Baldauf und Katharina Weingartner zeichnen in ihrem Dokumentarfilm mit Archivmaterial, zahlreichen Originalzitaten von Gruen und Interviews mit Verwandten und Mitarbeitern, aber auch Besuchern einer von Gruen konzipierten Shopping-Town, dem Ökologen Bernhard Lötsch oder Architekten ansatzweise Gruens Leben, vor allem aber seine Ideen und sein Werk nach. Vieles wird dabei freilich nur kurz angerissen, differenziert ausgelotet wird kein Aspekt und der Blick auf Gruen lässt jeden kritischen Akzent vermissen, aber einen interessanten Einblick, der zur weiteren Beschäftigung mit dem Thema und der Person Gruens anregen kann, bietet dieser Dokumentarfilm allemal.
Spielboden Dornbirn: Di, 26.4., 20.30 Uhr + Mi, 27.4. – jeweils 20.30 Uhr


Die missbrauchten Liebesbriefe: Leopold Lindtbergs 1940 entstandene Verfilmung von Gottfried Kellers Novelle aus der Sammlung „Die Leute von Seldwyla“ zählt zu den Klassikern des Alten Schweizer Films. Mit Paul Hubschmid, Anne-Marie Blanc und Alfred Rasser in den Hauptrollen erzählt der gebürtige Wiener, der in den 20er Jahren an deutschen Theatern inszenierte und nach der nationalsozialistischen Machtergreifung in die Schweiz emigrierte, vom jungen Lehrer Wilhelm, der in Seldwyla mit seinen modernen Ideen sofort für Unruhe sorgt. Amouröse Verwicklungen kommen aber noch dazu, als ihm ein Liebesbrief zugesteckt wird und er darauf antwortet. Ganz im Stil der Vorlage, die Lindtberg stimmig umsetzte, wird in dieser charmanten Liebeskomödie humorvoll Kritik an Spießertum geübt.
Takino Schaan: Fr, 29.4., 14.30 Uhr