Neue Ausstellung im KUB ab 1. Februar 2025: Precious Okoyomon, To See the Earth before the End of the World, 2022, 59th Biennale Vendedig, 2022 (Foto: Clelia Cadamuro, © Okoyomon)
Walter Gasperi · 16. Dez 2021 · Film

Aktuell in den Filmclubs (17.12. - 23.12. 2021)

Am Spielboden Dornbirn läuft diese Woche die teilweise quasidokumentarische Sozialkomödie "Les invisibles – Der Glanz der Unsichtbaren" und Peter Madsen schließt seine heurige Stummfilmreihe mit Carl Theodor Dreyers zeitlosem, asketischem Meisterwerk "La passion de Jeanne d´Arc" ab.

Les invisibles – Der Glanz der Unsichtbaren

Sie nennen sich Lady Di, Salma Hayek, Beyoncé und Edith Piaf, sind aber keine Stars, sondern leben auf der Straße. Mit dynamischem Schnitt und beweglicher, hautnah geführter Kamera versetzt Louis-Julien Petit den Zuschauer direkt in die Welt dieser obdachlosen Frauen in Nordfrankreich. Ganz auf Augenhöhe mit ihnen und den Sozialarbeiterinnen, die sich bedingungslos für ihre Schützlinge einsetzen, ist der 35-jährige Franzose.
Ungeschminkt und dokumentarisch ist der Blick, nichts wirkt hier gekünstelt – und doch ist das ein Spielfilm, der freilich nie zum tristen Sozialdrama wird, sondern mit Witz und Kampfgeist den bedrückenden Verhältnissen den Stinkefinger zeigt. Mit der vitalen Erzählweise verhindert Petit, der ein Jahr lang in Obdachlosenheimen recherchierte, auch jegliches Abgleiten in Voyeurismus.
Ganz auf die Sozialarbeiterinnen und die obdachlosen Frauen beschränkt sich Petit in seinem dritten Spielfilm. Er entwickelt keine darüber hinausgehende stringente Kinogeschichte, sondern beschränkt sich ausgehend vom Geschehen in der Tagesstätte auf kleine Szenen und zeichnet starke und berührende Porträts. So gibt dieser Film, der in Frankreich über eine Million Zuschauer ins Kino lockte, diesen im Gegensatz zu ihren glamourösen Pseudonymen gesellschaftlich unsichtbaren Frauen ein Gesicht und lässt sie glänzen.
Aufgrund des empathischen Blicks von Petit wachsen dem Zuschauer dabei rasch die kantigen Charaktere mit ihren Eigenheiten und ihrem Witz ans Herz, aber auch die Sozialarbeiterinnen, die sich unermüdlich für diese vom Leben gebeutelten Frauen einsetzen und dabei auch Gesetze überschreiten, werden gefeiert.
Wesentlich zum Gelingen dieser starken Sozialkomödie trägt dabei neben dem ungeschönten Blick und der direkten und zupackenden Inszenierung auch die Mischung von professionellen Schauspielerinnen wie Audrey Lamy und Noémie Lvovsky und Laien bei, die Arbeitslosigkeit und Armut am eigenen Leib erfahren haben und teilweise sich selbst spielen.


Spielboden, Dornbirn: Do 18.12. + Do 23.12. , jeweils 19.30


Peter Madsen and CIA play Silent Movies: La passion de Jeanne d´Arc

Der Däne Carl Theodor Dreyer beschränkt sich in seinem Film über die französische Nationalheilige, die 1430 in Rouen auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, auf den Prozess gegen Jeanne d´Arc. Vom deutschen Filmarchitekten Hermann Warm (unterstützt von Jean Hugo) ließ er zwar die teuersten französischen Kulissen dieser Zeit bauen – konzentrierte sich dann aber auf das nackte menschliche Gesicht.
Die Aussagen weitgehend wörtlich den historischen Prozessakten entnehmend, den Prozess an sich aber von drei Monaten auf einen Tag verdichtend, entwickelt Dreyer ein aufgrund seiner Stilisierung zeitloses Glaubensdrama, in dem die auf Typen reduzierten, namenlos bleibenden Ankläger auf das reine, von seiner Mission überzeugte Mädchen (großartig: die 36-jährige Boulevardschauspielerin Renée „Maria“ Falconetti in ihrer einzigen Filmrolle) treffen.
Bewegende Dichte gewinnt „La passion“  durch die strikte Einhaltung der Einheiten von Ort, Zeit und Thema (der Prozess) sowie den Aufbau als klassische Tragödie. Konsequent steigert sich die Handlung von einem ersten Verhör über die Verhöhnung durch die englischen Soldaten in der Zelle und die Androhung der Folter. Kurz gibt sie ihren Häschern nach – scheinbar die Peripetie des Dramas –, um wenig später zu widerrufen und den Tod auf dem Scheiterhaufen auf sich zu nehmen


Spielboden, Dornbirn: Mi 22.12., 19.30


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