aktionstheater ensemble: „Wir haben versagt“ (Foto: Stefan Hauer)
Walter Gasperi · 15. Sep 2022 · Film

Aktuell in den Filmclubs (16.9. - 22.9. 2022)

Im Skino Schaan steht diese Woche unter anderem mit „Semret" ein einfühlsames Sozialdrama über eine eritreische Migrantin und ihre 14-jährige Tochter auf dem Programm. Herrlich abgefahrenes und durchgeknalltes, vor Einfallsreichtum sprühendes Kino bietet der Film „Everything Everywhere All at Once", der am Spielboden Dornbirn zu sehen ist.

Everything Everywhere All at Once: Sechs Jahre nach dem herrlich schrägen „Swiss Army Man" schalten Daniel Kwan und Daniel Scheinert alias The Daniels mindestens noch zwei Gänge höher. Statt auf eine Insel entführt das Regie-Duo nun in die kleine Wohnung der chinesisch-stämmigen Amerikanerin Evelyn Wang (Michelle Yeoh) und ihrer Familie sowie in Evelyns großen Waschsalon und bald auch zum Finanzamt. Hohes Tempo erzeugen The Daniels von Beginn an, wenn sich Evelyn sowohl um eine Party fürs anstehende chinesische Neujahrsfest, um Kundenwünsche im Waschsalon, um ihren soeben aus China angereisten und auf den Rollstuhl angewiesenen Vater und vor allem um ihre Steuererklärung kümmern muss.
Wenig erfreulich verläuft zwar das Gespräch mit der Finanzbeamtin (Jamie Lee Curtis), doch kurz davor hat Evelyn von einem anderen Ich ihres im Alltag eher hilflosen Mannes Waymond (Ke Huy Quan) noch einen Tipp bekommen, wie sie in ein Paralleluniversum abtauchen kann. So schlägt sie, als es zum Konflikt mit der Beamtin kommt, bald als Martial-Arts-Kämpferin die Sicherheitskräfte nieder, sieht sich bald aber auch als gefeierte chinesische Opernsängerin, weniger erfolgreiche Show-Köchin oder aber in ihre Jugend zurückversetzt, als sie mit ihrem Mann China verließ.
Ein wahres Feuerwerk an Einfällen brennt das Regie-Duo so ab, sorgt mit spektakulären, perfekt choreographierten Kampfszenen und aberwitzigen Einfällen für irrwitzige und temporeiche Unterhaltung.
Zusammengehalten wird diese fulminante Achterbahnfahrt vor allem durch eine großartige Michelle Yeoh, die in beinahe jeder Szene präsent ist und souverän zwischen ihren Rollen wechselt. Ihre Evelyn mag dabei zwar feststellen: „That doesn´t make any sense", und ihr Mann mag darauf antworten: „Exactly", doch so abgedreht „Everything Everywhere All at Once" auch daherkommt, so erzählen The Daniels im Kern dieses atemlosen und in der Fülle auch ausufernden und die Zuschauer:innen fast überfordernden Vergnügens doch eine klassische Familiengeschichte.
Spielboden Dornbirn Do 22.9., 19.30 Uhr

Semret:  Die Zürcherin Caterina Mona erzählt in ihrem Spielfilmdebüt von der seit über zehn Jahren in der Schweiz lebenden Eritreerin Semret (Lula Mebrahtu), deren 14-jährige Tochter (Hermela Tekleab) langsam nach mehr Freiraum strebt, während sie selbst sich von der Umwelt abschottet.
Man spürt, dass genaue Recherchen dem Film zugrunde liegen. Sorgfältig und genau schildert Mona die Konfliktfelder und bietet aus der Innensicht Semrets einfühlsam Einblick in die Ängste der Eritreerin. Auch diese traumatischen Erinnerungen an Krieg, Militärdienst und Flucht werden nur angedeutet, wirken aber dadurch stärker als eindeutige Visualisierung mittels Rückblenden.
Großartig und ungemein authentisch wird diese liebevolle Mutter von der aus Eritrea stammenden und in London lebenden Theaterschauspielerin Lula Mebrahtu gespielt. Eindrücklich vermittelt sie Semrets Sorgen, Ängste und Sehnsüchte, lässt spüren, dass sie auch gerne aus diesem abgesicherten Lebensmodus ausbrechen möchte, aber die Angst größer als dieser Wunsch ist.
Sorgfältig herausgearbeitet ist auch die Beziehung zur Tochter und deren wachsender Wunsch nach mehr Selbstständigkeit. Auch hier und bei der eritreischen Community sorgt die Besetzung mit Laienschauspieler:innen für ein hohes Maß an Authentizität.
Bei aller Sorgfalt ist aber auch eine gewisse Biederkeit der Inszenierung nicht zu übersehen, die „Semret" mehr zu einem beachtlichen Fernsehfilm als zu großem Kino macht. Lieber nicht daran denken will man, was beispielsweise die Dardenne-Brüder aus diesem Stoff gemacht hätten. Einen bewegenden und vielschichtigen Einblick in die Befindlichkeit einer Migrantin und das Spannungsfeld zwischen Abschottung der Elterngeneration und Integration der folgenden Generation bietet das einfühlsame Sozialdrama aber auf jeden Fall.
Skino Schaan: Fr 16.9., 16 Uhr + Di 20.9., 18.30 Uhr


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