Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Gunnar Landsgesell · 01. Apr 2022 · Film

A Hero – Die verlorene Ehre des Herrn Soltani

Asghar Farhadis jüngster Film erzählt von einem Mann, der aus dem Gefängnis heraus eine finanzielle Schuld tilgen möchte, um wieder frei zu sein. „A Hero" ist ganz simpel aus dem Leben gegriffen, verstrickt sich aber wie ein Thriller und ist am Ende eine Parabel über Schuld und Wahrheit. In Cannes gewann er den Großen Preis der Jury.

Von der beeindruckenden Kulisse der persischen Königsgräber, die tief in den Felsen hineingearbeitet wurden, nimmt „A Hero" seinen Ausgang. Das Grab des Xerxes, 2500 Jahre alt, wird restauriert und Ramin (Amir Jadidi), der Freigänger aus dem Gefängnis, steigt über das schwindelerregende Gerüst hoch hinauf zu den Arbeitern. Geduldig verfolgt ihn die Kamera, auch bei seinem Abstieg. Ramin sitzt nach einer Firmengründung im Gefängnis, weil sein Partner mit dem Kapital verschwand. Das Geld, das er sich danach von einem Verwandten seiner Ex-Frau lieh, konnte er nicht zurückzahlen. Diese Schuldenfalle, die Farhadi gnadenlos immer verwickelter bis zum sozialen Alltagsporträt weitertreibt, wird die folgende Erzählung füllen. „A Hero" beginnt mit einem Glücksfund. Ramins Freundin Farkhondeh (Sahar Goldoust)  findet eine Tasche mit 17 Goldmünzen, die neue Hoffnung gibt. Die Entscheidung Ramins, die Besitzerin ausfindig zu machen, und sie zurückzugeben, macht ihn zum TV-Star. Kamerateams featuren das Kuriosum des ehrlichen Häftlings, ein sozialer Verein aktiviert eine Spendenversammlung und verleiht ihm eine Auszeichnung, und selbst die Gefängnisdirektion steht voll hinter ihm. Nur der Schuldner bleibt stur und fordert die gesamte Summe ein. Als Fragen aufkommen, wer denn die geheimnisvolle Besitzerin der Goldmünzen sei und in den Social Media Gerüchte über eine erfundene Geschichte aufkommen, ergibt eine Notlüge die nächste, und der Erfolg dieser Mission droht zu kippen.

Ethisches Dilemma als Thriller

Asghar Farhadi hat sich mit Filmen wie „Nader und Simi", „The Salesman" und "Feuerzauber" anders als die Kiarostami-Schule mit einer dichten, immer am Rand der Überhitzung stehenden Erzählweise als feste Größe des iranischen Kinos etabliert. Für „A Hero" wurde die weit im Süden, fast schon in der Gegend des Persischen Golfs gelegene Metropole Shiraz ausgewählt. Zwischen den nackten Felsformationen der Landschaft und den ockerfarbenen Häusern mit Gärten entwickelt sich ein interessanter Reiz zu der unfreiwilligen Gemeinschaft an Leuten, die zunehmend in die Mühlen zwischen Schuld, Ehre und drohender öffentlicher Demaskierung geraten. Während die Kamera von Ali Ghazi zuweilen im Kolportagestil den Aufwallungen der Protagonisten folgt, fächert sich das Bild einer Gesellschaft auf, die gewöhnt ist, gleichermaßen improvisierte Lösungen zu finden und zugleich die möglichen harschen Konsequenzen mitzubedenken. Dass neben Ramin auch seine wohl zukünftige Ehefrau, seine eigene Verwandtschaft und selbst ein hilfsbereiter Taxifahrer in den Strudel gezogen werden, ist bei Farhadi Programm - und zugleich als Sittenbild der Gesellschaft unter der iranischen Theokratie zu verstehen. Der Aufhänger (nicht nur in den Zeitungsberichten im Film) der anfangs gefeierten Moral des ungewöhnlichen Helden treibt die grotesken Wendungen gleichsam voran. Der narrative Trick des Films, die Spannung nicht über Krimi-Figuren zu erzählen, sondern alle Charaktere gemeinsam in ein ethisches Dilemma zu werfen, entspricht der hohen Kunst des iranischen Kinos, die ramponierten sozialen Verhältnisse so ganz nebenbei zu beleuchten. Ein rasender Stillstand, bei dem am Ende vielleicht nur die wiederhergestellte Ehre bleibt.