Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Gunnar Landsgesell · 28. Feb 2013 · Film

3096 Tage

Welche Erwartungen auch immer mit der Verfilmung der Leidensgeschichte der Natascha Kampusch verbunden waren. "3096 Tage" kommt über die Konventionen von Fernsehfilmen nicht hinaus. Immerhin: Die neuerliche Exponierung als Opfer blieb der heute 25jährigen erspart. Teilweise zumindest.

Tragisch genug, dass eine junge Frau, die von Kind an achteinhalb Jahre in einem engen Kellerraum gefangen gehalten wurde, die von ihrem Entführer gequält wurde und dennoch nur diesen Mann als einzige Bezugsperson hatte; dass diese Frau ihre Hoffnungen nun auch in einen Spielfilm setzen muss, um in einer Öffentlichkeit, die sie teils anfeindet, mehr Verständnis zu erhalten. Jetzt ist dieser Film also zu sehen. Die Motivationen, sich „3096 Tage“ anzusehen, lassen sich so schwer abgrenzen wie jene, die hinter diesem Projekt stehen. Wo endet der eigene verständnisvolle Blick, wo setzt der Voyeurismus ein? Ist so eine Reinszenierung mit Schauspielern überhaupt dazu angetan, Empathie zu schaffen? Oder ist dieser Film nicht eine weitere Facette der Medienmaschine, die die heute 25jährige Natascha Kampusch nicht loslässt? Bernd Eichinger, der mittlerweile verstorbene Produzent von 3096 Tage, war ein Spezialist für potenzielle Aufreger. Von „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ bis „Der Baader Meinhof Komplex“ reichte sein Repertoire.

Schematismus des Fernsehspiels

So dick kam es unter der Regie von Sherry Hormann („Wüstenblume“) nicht. Für eine Eichinger-Produktion nimmt sich Hormanns Inszenierung vergleichsweise bescheiden aus. Erzählt wird von der Entführung mit dem weißen Lieferwagen bis zur Flucht und dem Suizid des Täters. Von einer kaum nachvollziehbaren Normalität in einer jahrelangen Ausnahmesituation, von totaler Abhängigkeit und dem schmalen Grat, wie das Mädchen trotz der systematischen Degradierung noch ein paar Gefühle vom Täter abholt, um die eigene Isolation für kurze Augenblicke zu durchbrechen. Das alles wirkt ziemlich routiniert in Bilder gegossen. Man kann sich 3096 Tage als eines dieser Fernsehspiele vorstellen, bei denen bestimmte Geschichten nach bestimmten Konventionen umgesetzt werden. Wo für jeden Moment, egal ob dramatisch oder komisch, ein bestimmtes Darstellungsschema abgerufen wird. Bis in das Schauspiel selbst reicht diese Konventionalität hinein. Wie zeigt man Freude, wie Wut? Welches Repertoire an körperlichen Ausdrucksformen wurden auf der Schauspielschule für Verzweiflung, für Auflehnung vermittelt? Das bedeutet nicht, dass die beiden Darstellerinnen, Amelia Pidgeon als pummelige Zehnjährige und die offenbar unter Magersucht leidende Britin Antonia Campbell-Hughes schlechte Miminnen sind. Für sich genommen sind sie sogar ziemlich ausdrucksstark, fügen sich offensichtlich aber in jene Routinen ein, die von ihnen abgefragt werden. Der Däne Thure Lindhardt wirkt hingegen etwas unbestimmter darin, die Rolle des schwer zu fassenden Täters Wolfgang Priklopil zu interpretieren. Die Inszenierung zeigt ihn als unterwürfigen Sohn einer dominanten Mutter, der seiner Gefangenen mal am Küchentisch vor der Fototapete mit Wald und mal im Verließ seinen Willen aufzwingt. Dazwischen werden ein paar Szenen mit den Eltern der Entführten eingespielt. Sie bleiben völlig aussagelos. Zu einer Intensität findet „3096 Tage“ nie: der klaustrophobisch kleine Raum hinter dicken Mauern wird weder räumlich noch in seiner jegliches Zeitgefühl auflösenden Dimension erfahrbar gemacht, er bleibt einer von mehreren Schauplätzen dieser Geschichte. Selbst als die Protagonistin von ihrem Peiniger zum Schifahren auf einen Gletscher mitgenommen wird, und rundherum quasi von Freiheit umgeben ist, wird dieser Moment tiefster Abhängigkeit kaum deutlich. Emotional bleiben Szenen wie diese flach. Indem Kampuschs Geschichte konsumierbar gemacht wurde, steht sie zumindest symptomatisch für all jene Frauen, die ebenfalls in Gewaltverhältnissen von Männern leben.