Faurés Requiem in Orgelversion gelang überzeugend in Koproduktion von Stella und Herz Jesu unter der Leitung des Graubündners Clau Scherrer. (Foto: Victor Marin)
Michael Löbl · 01. Aug 2023 · Musik

Festspiele – Außergewöhnliches und Nicht-Alltägliches

Zwei herausragende Veranstaltungen am Sonntag im Bregenzer Festspielhaus

Während das erste Orchesterkonzert der Wiener Symphoniker von Umbesetzungen und Programmänderungen geprägt war, lief im zweiten alles ab wie angekündigt. Obwohl - nicht ganz, ursprünglich hätte ja Marlis Petersen den Solopart in den „Vier letzten Liedern“ von Richard Strauss singen sollen, aber diese Absage und der Name der Neubesetzung wurde ja bereits vor vielen Wochen bekanntgegeben.

Wenn man das Wesen von Festspielen mit „außergewöhnlich, nicht alltäglich“ assoziiert, dann wurden beide Indoor-Veranstaltungen am vergangenen Sonntag diesem Anspruch mehr als gerecht. Die Wiener Symphoniker zeigten sich in Bestform und sehr motiviert. Die Leitung hatte Dirk Kaftan, derzeit GMD in Bonn, zwischen 2006 und 2017 zunächst Erster Kapellmeister, dann Musikchef der Grazer Oper. Er ist ein äußerst sympathischer, kompetenter Dirigent, der auch bei der kurzen Programmeinführung zum zweiten Konzertteil eine ausgezeichnete Figur machte.

Nebenerwerbskomponist

Zwei Werke des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts aus den USA umrahmten eine der letzten Kompositionen des über 80-jährigen Richard Strauss, seine „Vier letzten Lieder“. Das Konzert begann mit „Central Park in the Dark“, eines der bekanntesten Werke von Charles Ives. Während sich zur selben Zeit A. Schönberg, A. Berg und A. Webern in Wien mit der Entwicklung der Zwölftontechnik beschäftigten, gingen amerikanische Komponisten, allen voran Charles Ives, einen gänzlich anderen Weg. Warum der in Connecticut geborene Ives im Programmheft zu einem Briten gemacht wurde, bleibt rätselhaft. Er war und ist auch der einzige Komponist von Weltrang, der seinen Lebensunterhalt nicht mit Musik im weitesten Sinne verdiente, sondern als Versicherungsexperte. Zu diesem Thema schrieb er ein Fachbuch, das bis heute als Standardwerk des Versicherungswesens gilt. Von „Central Park in the Dark“ gibt es zwei Versionen. Im Festspielhaus entschied man sich dafür, die Streicher und eine einsame Klarinette auf der Bühne zu platzieren, während die restlichen Bläser, Schlagzeug und zwei Klaviere bei geöffneten Türen aus dem Foyer erklangen und damit einen räumlichen Effekt erzielten, der dem Komponisten sicher gefallen hätte. Schwer zu glauben, dass dieses Stück bereits 117 Jahre alt ist und man überlegt, ob der Komponist Arvo Pärt „Central Park in the Dark“ wohl gekannt haben mag, als er siebzig Jahre später ganz ähnliche Klangflächen zu seinem weltweit erfolgreichen Markenzeichen machte.

Süffiger Orchesterteppich

In Richard Strauss' „Vier letzten Liedern“, geschrieben 1948 nach Gedichten von Hermann Hesse und Joseph von Eichendorff, kann man ein letztes Mal den Spätstil des zur Zeit der Entstehung weit über 80-jährigen Komponisten genießen. Nicht enden wollende Melodien mit für ihn so typischen harmonischen und melodischen Wendungen ergeben einen süffigen Orchesterklang, der in anderen Aufführungen oft zu dick und vor allem zu laut gerät und die arme Sängerin zum Forcieren nötigt. Nicht so am Sonntagvormittag in Bregenz. Dirk Kaftan nahm das Orchester in entscheidenden Momenten stark zurück ohne dabei die süffigen Klangfarben und Textbezüge zu opfern. Er breitete der amerikanischen Sopranistin Rachel Willis-Sorensen einen goldenen Klangteppich aus, über den sie ihre herrlich glänzende, runde und auch bei hohen Tönen klangschöne Sopranstimme strömen lassen konnte. Ein reiner Genuss waren auch die Soli des Gastkonzertmeisters und des Ersten Hornisten Michael Stückler. Da Anton Sorokow, einer der Konzertmeister der Wiener Symphoniker, nach einem Sturz derzeit nicht einsatzfähig ist, wurde für dieses Konzert Andreas Janke vom Tonhalle-Orchester Zürich verpflichtet. Es handelt sich dabei um eine Art Familienzusammenführung, da seine Frau, die Dirigentin Yi-Chen Lin, alternierend mit Enrique Mazzola die Butterfly-Vorstellungen auf dem See leitet. Die Musikwelt war es schon immer und ist es auch heute noch - ein Dorf.

Eine wirkliche Entdeckung

Nach der Pause dann etwas wirklich nicht Alltägliches: Eine noch wenig bekannte Symphonie aus dem Jahre 1932, die möglicherweise sehr schnell in das Orchesterrepertoire Eingang finden wird. Das wäre zweifellos eine Bereicherung des internationalen Konzertlebens, der Stil ist melodiös und hat einen hohen Wiedererkennungswert, die Symphonie ist brillant orchestriert und daher auch als Showpiece für Orchestertourneen bestens geeignet. Während der gesamten Aufführungsdauer von 40 Minuten werden die Zuhörer:innen ständig durch melodische und harmonische Details überrascht, die Stimmen der Solobläser sind sehr exponiert und alle können zeigen, was sie so drauf haben. Dazu hat das Werk eine interessante Geschichte. Zum ersten ist die Komponistin eine schwarze US-Amerikanerin, zum zweiten galt es viele Jahre als verschollen und wurde erst 2009 zufällig bei der Renovierung eines Ferienhauses wiedergefunden. Wir sprechen von der Symphonie Nr. 1 in e-moll von Florence Price. Richard Wagner und Antonín Dvořák waren große Vorbilder, und besonders Dvořáks „Symphonie aus der neuen Welt“ hat in ihrer Musik deutliche Spuren hinterlassen. Auch die gemeinsame Tonart e-moll ist kein Zufall. Ein Juba Dance steht an Stelle des Scherzos und das fulminante Finale hat auch die letzten Zweifler überzeugt. Das Publikum ist begeistert, um nicht zu sagen: von den Socken. Inzwischen haben sich mehrere Orchester der Ersten Symphonie von Florence Price angenommen. Das Philadelphia Orchestra unter Yannick Nézet-Seguin hat es für die Deutsche Grammophon eingespielt und auf einer internationalen Tournee dem Publikum präsentiert.
Die Wiener Symphoniker hatten sichtlich Spaß sowohl an diesem Werk als auch an der Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Dirk Kaftan, der sie mit klarer Zeichengebung und viel Schwung mitreißen konnte. So gehen Festspiele.

Musik und Poesie

Am Abend dann „Musik und Poesie“ im Seestudio mit dem Schriftsteller Michael Köhlmeier und dem Pianisten Sergey Tanin. Thema war das „Gekränkte Ich“ und im weiteren Sinne die Verletzung der Ehre. Michael Köhlmeier hat dazu einige Beispiele ausgewählt: Homers „Ilias“, das Nibelungenlied, „Casanovas Heimfahrt“ von Arthur Schnitzler oder den „Zauberberg“ von Thomas Mann. Dazu leider sehr unpassende und - viel schlimmer - extrem langweilige Musik der französischen Komponistin Marie Jaell. Zum Abschluss spielte der in Basel lebende russische Pianist noch Franz Liszts Paraphrase über Themen aus „Ernani“. Das passt zwar thematisch perfekt ins Festspielprogramm, gegen Liszts nervtötendes Klaviergeklingel fand aber auch der ausgezeichnete Musiker kein Rezept.
Michael Köhlmeier allerdings ist ein Phänomen. Dieser Mann verfügt nicht nur über eine universelle Bildung wie kaum jemand anderer, er besitzt auch die seltene Gabe, sein Wissen vollkommen entspannt, locker, humorvoll und verständlich zu präsentieren. Da man ahnt, was er noch alles zu sagen hätte, möchte man unendlich viel mehr von Michael Köhlmeier erfahren, über Literatur, Politik oder Geschichte. Hätte es in der Schule Lehrer gegeben wie ihn, die Welt wäre eine bessere.

www.bregenzerfestspiele.com