Etwas Lebendiges
Neues Objekt in der Galerie beim Feurle
Die Galerie beim Feurle zeigt Vorarlberger Kunstschaffende mit internationalem Radius. Nun präsentiert sie den „Hautstein“ des Bregenzer Bildhauers Mathias Garnitschnig, der mit dem Kahnweiler Preis für Bildhauerei ausgezeichnet ist.
Behaart oder unbehaart?
Wir Menschen stellen als erstes und unbewusst fest, ob etwas Haare hat oder nicht. Das Erkennen von Haaren ist eine Fähigkeit, die sehr früh im Leben entsteht. Unser visuelles System kann die feinen Texturverläufe, die beweglichen Elemente und die unregelmäßigen Lichtreflexionen von Haaren besonders schnell verarbeiten. Das ist kein zufälliges Detail unserer Wahrnehmung, sondern eine sorgfältig selektierte Fähigkeit mit Überlebensvorteil. In der Natur sind behaarte Oberflächen immer mit etwas Lebendigem, meist mit Tieren oder Menschen, seltener mit Pflanzen assoziiert. Das schnelle Erkennen eines behaarten Wesens war für uns von Vorteil, erlaubt es doch sowohl die dringende Einschätzung von Gefahr (Raubtier) oder Beute (Nahrung), als auch eine zuverlässige Identifikation unserer Artgenossen. Haar zeigt uns an, ob etwas lebt, ob es gefährlich ist, ob essbar oder zur Kopulation geeignet.
Das Ding mit der Haut
Die Passantin, die durch die Arkaden zum Café Feurstein spaziert und einen Blick ins Kunst-Schaufenster wirft, erlebt innerhalb von Millisekunden eine ästhetische Irritation: Die Behaarung des Objektes, das sie da sieht, ruft laut „lebendig!“ und doch widerspricht das Ding allen Regeln des Lebendigen. Der „Hautstein“ von Mathias Garnitschnig aus Silikon, Pigment und Haar ist ein paradoxes Hybrid: Ein Stein der mit Haut und Haar überzogen ist, ein körperloser Körper. Für Kurator Stefan Amann strahlt das Objekt Verunsicherung aus: „Der lebewesenhafte Klumpen sitzt da, in laborartiger Atmosphäre. Wie gehe ich damit um? Muss man es füttern? Ist ihm heiss? Fürchtet es sich im Dunkeln? Mag ich ihn oder lehne ich ihn ab? Das ist kein Sympathieträger, den Mathias Garnitschnig da geschaffen hat, aber in mir ruft es Zugewandtheit hervor.“ Während barocke Skulpturen versuchten, Marmor wie Fleisch wirken zu lassen, dreht Garnitschnig mit seinem Objekt das Prinzip um. Er verlässt die klassische Mimesis – die nachahmende Darstellung der Natur durch die Kunst – und erschafft neue, autonome Wirklichkeit. Er macht einen leblosen Gegenstand scheinbar lebendig, indem er ihn mit Haut überzieht. Der Hautstein verweigert nicht nur wie der altertümliche Torso jede narrative Figurendarstellung, er fragmentiert den Körper auf das Extrem von körperlichen Materialreizen, Haut und Haar.
Das unheimliche Tal
Es ist zugleich verstörend und faszinierend, wenn die Grenzen zwischen Körper und Objekt, zwischen belebt und unbelebt, organisch und anorganisch verschwimmen. Das im Feurle zur Schau gestellte Objekt stellt unsere Wahrnehmung und das Verständnis von „was ist lebendig?“ in Frage. Wir betreten das Uncanny Valley, das unheimliche Tal. Das Unheimliche ist das Heimliche, das fremd geworden ist. Hervorgerufen wird dieser psychologische Effekt des Unbehagens durch die Ungewissheit, ob etwas lebendig oder tot ist. Der Hautstein wirkt zu lebendig, um als Gegenstand wahrgenommen zu werden, und gleichzeitig zu tot, um als echtes Lebewesen durchzugehen. Etwas Organisches, das nicht sein darf, aber ist. Es hat etwas mit Ekel zu tun, mit Schutzreflexen, mit körperlichen Flüssigkeiten.
Bildhauer, unter Material-Verdacht
Mathias Garnitschnig studierte Bildhauerei an der Fachschule in Tirol und an der Universiät für angewandte Kunst in Wien bei Gerda Fassel und Erwin Wurm. Der laut Stefan Amann „materialverdächtig“ arbeitende Bildhauer, der neben seinen biomorphen-lebensförmigen Arbeiten auch für seine Auseinandersetzungen mit Form und Inhalt, Raum und Hohlraum bekannt ist, will sich nicht auf diesen einen „Hautstein“ festlegen. „Die realistische Darstellung der Haut auf nicht belebten Gegenständen, dieses Spiel von organischem und anorganischem, die Verbindung von belebt und unbelebt lässt sich auch auf andere Formen übertragen.“ Garnitschnig kombiniert in dieser Arbeit die klassische Traditionen Materialillusion und Fragmentierung mit zeitgenössischen Strategien der Verfremdung und des Hyperrealismus. Sein sinnliches und unheimliches Objekt sitzt sauber gewaschen und gestriegelt in seinem steril-anmutenden Schaukasten und schwitzt. Wer im Feurle verweilt bei Espresso oder Aperol Spritz, kann es genauer kennen lernen. Der skulpturale „Hautstein“ steht nicht nur in einer Tradition von konzeptueller Kunst und Zellforschung, er stellt auch aktuelle Fragen über Körperlichkeit, Identität, Lebendigkeit und Wahrnehmung. Mathias Garnitschnig empfiehlt dem Gast im Feurle für den Dialog mit dem „Hautstein“: „Den guten Tisch direkt rechts vom Schaufenster“.
Mathias Garnitschnig: „Hautstein“
Galerie beim Feurle
Schaufenster zeitgenössischer Kunst unter den Arkaden des Café Feurstein in Feldkirch
bis Anfang September 2025
http://galeriebeimfeurle.at
In der FH Dornbirn sind seit Kurzem und ebenfalls im öffentlichen Raum die biomorphen „Tetatet“-Sitzskulpturen der Gebrüder Mathias und Bernhard Garnitschnig zu sehen, die auf Pilzsporen Bezug nehmen.