Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Florian Gucher · 20. Mär 2024 · Literatur

„Es ist, wie es ist, und nicht wie er es findet“

Jens Dittmar: „Bücher/Schlachten“

„Bücher/Schlachten“ ist ein sinnreiches Fabulieren über die letzten 70 Jahre der Verlagsbranche, mit Blick darüber hinaus. Der Autor Jens Dittmar hat in seinem neuen Buch die strenge Form des Versepos genutzt, um gegen den Ordnungsverlust der Postmoderne zu Felde zu ziehen. In diesem eng gesteckten Korsett holt der Liechtensteiner Schriftsteller literarisch-philosophisch weit aus – von der Stunde null bis ins Hier und Jetzt im schwindelerregenden Ritt.

Die Kulturgeschichte der Verlagsbranche

Harald Nimrod, der Protagonist dieses Buches, ist ein monologisierender Schwätzer. Begonnen als kleiner Lehrling bei seinem Oheim Fischbach, seines Zeichens selbst Kleinstverleger, hat er sich durch den Raubdruck von Niklaus Zettels „Die Kunst der Unterwerfung“ hochgeackert und schaut sich nun als Insider unter den „klitzekleinen Bertelsmännern“ die Verlagswelt im Rückspiegel an. Die Leser:innen lässt er bei seinem Streifzug teilhaben: Der Protagonist ist bei allen möglichen Büchermessen und Feiern der Kultur- und Verlagsszene dabei. Er lernt kennen, was Rang und Namen hat, macht mit Galionsfiguren des Bücherbetriebes Bekanntschaft und gelangt – oftmals zufällig – in Streitgespräche. Will man es runterbrechen, ist das der Plot des neuen Versepos von Jens Dittmar.

Warum ein Versepos? 

Will man es nicht, so möchte ich mich aufgrund der Komplexität dieses knapp über 140 Seiten umfassenden Bändchens – die Präzision Jens Dittmars sei dabei herausgestrichen – auf zwei Aspekte beschränken, die in „Bücher/Schlachten“ als wesentlich anzusehen sind: Zum einen geht der Autor auf ein Verhältnis von Chaos und Ordnung ein, das sich quasi durch die ganze Menschheitsgeschichte zieht. Die Rede ist vom Konflikt zwischen Idealismus und Materialismus. Auf der einen Seite ist da die Welt, wie man sie sich mittels Worten passend richten möchte. Auf der anderen der nüchterne Blick auf das, was existiert und gegeben ist. Mit Blick auf das Verhältnis deutscher Klassik und düsterer Romantik oder jenem Dualismus von Postmoderne und neuer Realität der Gegenwart wird im Buch geistreich darüber philosophiert, wie sich diese konträren Pole zueinander verhalten: Was geschieht, wenn wir in eine bestehende Ordnung eingreifen und sie nach unseren Vorstellungen versuchen zu verändern? Machen nicht Realismus und Wissenschaft dem Gerede letztlich einen Strich durch die Rechnung? „Es ist nämlich, wie es ist, und nicht wie er es findet“, spuckt Dittmars Versepos an einer Stelle als Antwort aus. Da ist es dann ganz schön, dem Vielleser Dittmar bei seinen Querverbindungen zu folgen, beispielsweise wenn er einen Bert A. Rehbock ins Spiel bringt, einen beredten Senator aus Flensburg, der an die „Kalkulierbarkeit der Welt“ glaubt. Oder aber den Literaturwissenschaftler und Künstler Reinhard Döhl alias Traugott Schneider, der wiederum das Wort als Abbild der Realität begreift, und dann letztlich von der Realität eingeholt wird. Auch auf formaler Ebene spinnt sich diese Auseinandersetzung weiter. Da wären wir dann bei der Entscheidung des Autors zugunsten eines Versepos, in jedem Falle dezidiert gegen eine prosaische Form. Das striktere Versmaß ist hier nämlich als Gegenpol zur sozialen Konstruktion von Wirklichkeit zu verstehen, jener sozialpolitischen Entwicklung, wo Kategorien wie Geschlechter fluide gemacht und Gesetze und Abstraktionen aufgehoben werden. „Bücher/Schlachten“ liest sich wie eine Absage gegen all den politischen Partikularismus, gegen all die Unschärfe, die die gegenwärtige Zeit prägt. Noch mehr wird das Buch zur Streitschrift einer immerwährenden Streitfrage, die am pragmatisch-realistischen Standpunkt Jens Dittmars nicht zweifeln lässt.

Die Grenzen des geistigen Eigentums

Zum anderen ist da die Frage nach dem (un)erlaubten Zitieren und Vervielfältigen von Gedanken Dritter, die da im Versepos umherschwirrt. Das ist auf theoretischer Ebene der Fall, wenn das Versepos Leibniz Schrift „De Arte Combinatoria“ einführt, die besagt, dass alles eine Kombination aus schon Vorangegangenem sei. „Wie ein Kurator entwirft der Autor eine Dramaturgie aus Versatzstücken, die nahtlos in sein Konzept passen“, so ein passendes Zitat aus Dittmars Buch. Das ist ganz vordergründig der Fall, wenn es um den fiktiven Raubdruck Nimrods geht, der sich an einem wirklich stattgefundenen Raubdruck von Arno Schmidts „Zettel´s Traum“ anlehnt. Noch aktueller wird es dann, wenn wir gegen Ende des Buches zu dem kommen, was heute „künstliche Intelligenz“ genannt wird. „De Arte Combinatoria“ und Raubdruck weitergedacht, mündet das Versepos in der digitalen Zukunft des literarischen Schreibens von ChatGPT und AI. So ist es das künstlich generierte Wissen, das ja eigentlich auch aus dem Mund anderer herausgegriffen wird, das ein neues Zeitalter einleitet. An all diese Phänomene knüpfen sich Urheberrechtsdebatten. Man denke vor diesem Hintergrund an die von Dittmar in die Story eingeflochtene „Holzfällen“-Affäre Thomas Bernhards, die ziemlich am Schluss erwähnt wird. Nimrod lernt Bernhards Gegenspieler Gerhard Lampersberg kennen. Er war es, der sich seinerzeit in der Figur des Herrn Auersberger in „Holzfällen“ zu erkennen glaubte und Ehrenbeleidigungsklage gegen den Autor Bernhard einreichte. Abermals hat man die graue Zone des geistigen Eigentums vor Augen, die Jens Dittmar geschickt durch die einzelnen Epochen zieht.
„Bücher/Schlachten“ benötigt den Blick über den Tellerrand. Es will kein autobiografisches Werk sein, hat aber autobiografische Züge. Man nehme Dittmars jahrelange Tätigkeit als Lektor eines relativ kleinen Verlages in Stuttgart, die sich im Werk untergründig spiegelt. Man nehme seine künstlerisch-philosophische Entwicklung als einstiger Vernunftkritiker hin zu einem realistischeren Standpunkt. In „Bücher/Schlachten“ kommt sie als Plädoyer für die Ordnung und gegen die Entropie des Verfalls zur Geltung. Wie für Jens Dittmars Publikationen üblich, handelt es sich auch bei seinem neuen Versepos nicht um Schaukelstuhllektüre, die sich locker-flockig vor unseren Augen entspinnt. Dittmars Werk setzt, wenn nicht ein literarisches und philosophisches Wissen, dann zumindest eine gewisse Recherchelust voraus, um den Ausführungen folgen zu können. Dafür belohnt es die Mühen mit Anekdoten und Begebenheiten, die zum Schmunzeln anregen und einen neuen Blickwinkel auf den Verlagsbetrieb zulassen.

Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR erschienen.

Jens Dittmar: Bücher/Schlachten. Edition Königstuhl, St. Gallenkappel, 2024, 140 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-907339-59-6, € 25,50, erscheint am 1.3.2024