Encuentro – Begegnungen in St. Gerold
Zwei Ensembles, die unterschiedlicher nicht sein könnten, traten am Freitagabend im Rahmen des Musikfestivals Encuentro in der Propstei St. Gerold auf.
Frisch generalsaniert erstrahlt die Propstei in neuem Glanz. Das menschliche Miteinander ist eines der der zentralen Anliegen des Propstes Martin Werlen und ganz in diesem Sinne wurde vor zwei Jahren das Musikfestival Encuentro ins Leben gerufen.
Encuentro ist das spanische Wort für Begegnung und beschreibt gleichzeitig den Festivalgedanken, nämlich Menschen zusammenzubringen, die sich für verschiedene Sparten der Musik interessieren, für Klassik oder für Jazz beispielsweise. Encuentro findet 2024 zum zweiten Mal statt, die Kuratoren des Festivalprogrammes sind wieder David Helbock und Khosro Soltani, beides Musiker aus Vorarlberg, die bekannt dafür sind, sich in verschiedensten musikalischen Stilrichtungen zu bewegen. Allerdings hatten sich die Veranstalter bei der Planung vermutlich eine andere Wettersituation vorgestellt. Ende Mai, Anfang Juni, laue Frühsommerabende in der atemberaubenden Kulisse des Großen Walsertales. Dauerregen machte diesem Plan leider einen Strich durch die Rechnung, für das Konzert in der Propsteikirche prägten dicke Jacken den Dresscode der Zuhörenden.
Crossover?
Musikalisch hingegen ging es heiß zu im gut besuchten Kirchenraum. Das Janoska Ensemble, das sind die Brüder Ondrej und Roman (Violine) sowie František Janoska (Klavier), dazu deren Schwager Julius Darvas am Kontrabass, präsentieren ihren ganz speziellen Musikstil, eine Mischung aus Klassik, Groove, Gypsy, Jazz und Improvisation. Mit „Janoska Style“ bezeichnen sie selbst ihre Art des Musikmachens, mit dem sie seit Jahren in Konzerten aber auch auf Tonträgern der Deutschen Grammophon weltweit Erfolge feiern. Zwei der Brüder waren bereits vor zwölf Jahren in Vorarlberg zu hören, damals als Partner des Kontrabassisten Georg Breinschmid als Solisten mit dem Symphonieorchester Vorarlberg.
Früher nannte man so eine Mischung „Crossover“, diese Bezeichnung geriet aber in letzter Zeit in Verruf, vermutlich waren allzu kommerzielle Auswüchse schuld daran. Ganz neu ist die Mischung aus Klassik und anderen Stilen wie Jazz oder Pop natürlich nicht. So hat der französische Pianist Jacques Loussier bereits vor über 60 Jahren die Musik von J.S. Bach höchst erfolgreich mit Elementen des Jazz kombiniert. Die Janoskas sind allerdings wahre Meister dieser Form. Es sind mindestens vier Eigenschaften, die dieses außergewöhnliche Ensemble so besonders macht. Erstens – sie spielen seit ihrer Kindheit zusammen. Zweitens – sie sind unglaubliche Virtuosen. Drittens – sie sind begnadete Improvisatoren. Und viertens – sie haben Humor. Dieser Mischung kann niemand widerstehen, die Musik reißt jedermann mit und man kann sich gar nicht vorstellen, dass das Janoska Ensemble jemals ein Konzert ohne Standing Ovations beenden könnte.
Aus dem Ärmel geschüttelt
Alle vier Ensemblemitglieder aus der Slowakei und aus Ungarn sind instrumentale Naturtalente, klassisch ausgebildet und spielen zumindest zu dritt von Kindesbeinen an zusammen. Ihre wirklich unglaubliche Virtuosität betrifft nicht nur ihre Fingerfertigkeit und die rasenden Tempi, sondern vor allem ihre Kunst der Improvisation. Man hat das Gefühl, die Janoskas könnten aus jedem Tonschnipsel, aus jeder noch so kleinen Melodie ein beliebig langes Stück entwickeln. Jede Improvisation klingt musikalisch unglaublich ausgefeilt, immer einfallsreich, harmonisch komplex, wirkt aber dennoch wie eben mal im Vorbeigehen aus dem Ärmel geschüttelt. Ebenso faszinierend zu beobachten ist das Zusammenspiel der Familie, jeder Rhythmuswechsel, jede Nuance in der Dynamik wird wie mit einer Stimme verwirklicht.
Eine weitere Besonderheit ist der Humor, mit dem die Janoskas auch die aberwitzigsten Passagen stets mit einem Augenzwinkern servieren. Es ist ganz schwer zu beurteilen, ob hinter diesem Programm ein unglaublicher Probenaufwand steckt oder ob das alles wirklich spontan im Augenblick eines Konzertes entstehen kann. Zu allen Stücken des Abends, der unter dem Motto „The Big B’s“ stand, ist dem Janoska Ensemble etwas Spezielles eingefallen. Alle Werke dieser „Big B’s“ – Johannes Brahms, Ludwig van Beethoven, Béla Bartók, Dave Brubeck oder Johann Sebastian Bach – erhalten ihre ganz eigene Janoska-Note, stets aber mit Respekt vor dem Original. So wird Beethovens arg strapazierte Bagatelle „Für Elise“ durch neue Harmonien zu einem vollkommen anderen Stück, schon alleine für diesen Programmpunkt hätte sich die Anreise nach St. Gerold gelohnt.
Musikalischer Kontrast
Ein Auftritt nach dem Janoska Ensemble muss für jede:n Musiker:in, für jedes Ensemble eine Herausforderung sein. Was bitte will man dieser geballten Energie entgegensetzen? Am Freitagabend in St. Gerold funktionierte das aber erstaunlicherweise. Eine kurze Verschnaufpause, ein Ortswechsel von der Propsteikirche ins Wyberhus und eine diametral entgegengesetzte Musikrichtung machten es möglich. Für den zweiten Konzertteil hat Kurator David Helbock die Insomnia Brassband aus Berlin eingeladen. Und tatsächlich: Anke Lucks (Posaune), Almut Schlichting (Baritonsaxophon) und Christian Marien (Schlagzeug) erzeugen zu dritt einen Sound, der tatsächlich eine viel größer besetzte Bigband auf der Bühne vermuten lässt. Das Berliner Trio spielt seit 2017 zusammen, 2023 wurde die Insomnia Brass Band mit dem Deutschen Jazzpreis als „Band des Jahres“ ausgezeichnet. Ihr Stil ist ein Mix aus Free Jazz, Funk, Punkrock und New Orleans Brass Band, angereichert mit originellen Moderationen der Saxophonistin. Die Musik der Insomnia Brass Band ist rauh, rhythmusbetont und durchaus anspruchsvoll. Das Baritonsaxophon von Almut Schlichting wird regelmäßig auch als Perkussionsinstrument eingesetzt, was wegen seiner tiefen Lage perfekt funktioniert. Bewundernd beobachtet man, wie die drei Musiker:innen in sich verschobene rhythmische Patterns entwickeln, weiterführen und wieder zusammenfügen. Allerdings wird der Klang der drei großartigen Musiker:innen nach einer gewissen Zeit etwas eintönig, was aber eindeutig am Instrumentarium liegt und nicht an den Spieler:innen.
Das Festival Encuentro bringt großartige Musiker:innen verschiedenster Richtungen in einer magischen Location zusammen. In zwei Jahren soll es wieder stattfinden, man kann jetzt schon gespannt sein auf die Programmideen der Kuratoren David Helbock und Khosro Soltani.
https://propstei-stgerold.at
https://janoskaensemble.com
https://insomniabrassband.de