Nora Gomringer zog bei der Konzertlesung in der Bludenzer Remise die Zuhörenden in ihren Bann.
Silvia Thurner · 02. Jun 2024 · Musik

Viva la musica im Zirkus Luft-i-kuss!

Fulminantes Musiktheater für die ganze Familie bei den Bregenzer Festspielen

Die große Blasmusikshow „Zirkus Luft-i-Kuss“, die Martin Schelling zu den 100-Jahr-Feiern des Vorarlberger Blasmusikverbandes geschaffen und zur Uraufführung gebracht hat, war ein grandioses Fest für die Mitwirkenden und die vielen Zuhörenden im großen Saal des Bregenzer Festspielhauses. Aus dem ganzen Land formierten sich Musikant:innen zu einer etwa 130-köpfigen Blasorchester-Zirkusband. Georg Nussbaumer erzählte mit seiner einzigartigen Stimme vom Auftritt einer Zirkusgruppe, in der die Instrumente als tierische Hauptdarsteller auftreten. So waren beispielsweise das Fagott als Giraffe Fabian Traugott, die Oboe als Mücke Obulus Prontoe, die Klarinette als Schmetterling Clarina Moretti zu erleben. Unter der Leitung der Dirigenten-Direktoren Pinguine Musculoni, alias Martin Schelling und Matthias Schmidt, entwickelte sich eine temporeiche Show, die die kleinen und die großen Zuhörer:innen in ihren Bann zog.

Martin Schelling hat eine vielseitige kreative Ader und viele Ideen, wie er Kinder für das Erlernen eines Blasinstruments begeistern kann. Corona machte den Kontakt und damit die Werbung für die Musikschule und die Jugendblaskapelle unmöglich. Doch er verzagte nicht, sondern nutzte die Zeit und schrieb eine Geschichte, komponierte vielgestaltige Musikstücke, die die Charaktere der einzelnen Instrumente unterstreichen, und kreierte daraus eine magische Zirkusshow. 
Das Projekt nahm umfangreiche Formen an und die Intendantin der Bregenzer Festspiele, Elisabeth Sobotka, integrierte die Produktion in die aktuelle Programmschiene der „Jungen Festspiele“. Unter dem enormen Einsatz der Jugendreferent:innen der Bürgermusik Lauterach, Julia Fink und Johannes Hinteregger, mit der Unterstützung von Jana Linzmeier von den Bregenzer Festspielen, wurde Großes geschaffen. Der Vorarlberger Blasmusikverband lud alle Musikant:innen zum Mitwirken ein und so bildete sich ein generationenübergreifendes Blasorchester.

Die Instrumentencharaktere variantenreich vorgestellt

Die hohe Qualität der Musik stellt den Kern dieser gelungenen Produktion dar. Martin Schelling, unterstützt von Mathias Schmidt, hat in unterschiedlichsten Stilrichtungen einzelne Nummern komponiert, die jede für sich eine große musikalische Aussagekraft hat. Sogleich führte die temporeiche Ouvertüre mitten hinein in das Geschehen. Farbenreich instrumentiert wurden die vielgestaltigen Themen vorgestellt. Das starke Bassfundament und die Dynamik der einzelnen Episoden regten die Sinne an.
Mit einem guten Gespür für die Proportionen erklangen neben kraftvollen Nummern auch ein Walzer und sogar ein Schlaflied. In diesen Passagen zeigte sich auch die feingliedrige Kompositionsart von Martin Schelling. Denn die melodischen Hauptlinien wurden von kontrastierenden Stimmgruppen umspielt und brachten auf diese Weise den musikalischen Fluss zum Schwingen und in Bewegung. Einen Schwenk zum Bigbandsound machten die Saxofone. Auch diese Passage lebte von zahlreichen feinen Details in den perkussiven Begleitstimmen. Eine wichtige Rolle nahmen die Stabspiele ein. Die Gegensätze zwischen den tiefen und den hohen Registern eines Blasorchesters kamen im Swing der Tuba zur Geltung. Für die Oboen hatteMartin Schelling einen speziellen Einfall: Die Klangfläche, in der sich die Tonlinien der Oboen wunderbar mit den Flöten rieben, wurde mittels Sägegeräusch rhythmisiert.

Geistreiche Bonmots

Humorvoll wirkte auch die Passage, in der das Fagott im Mittelpunkt stand. Mittels Echos und Imitationen wurden die Themen nachgeahmt. Schließlich kristallisierte sich der „Liebe Augustin“ heraus. Das war wohl eine Anspielung auf die Pandemie, denn das Bänkellied geht auf die Pestzeit zurück. Überhaupt hat Martin Schelling eine Vorliebe für humorvolle Anspielungen. Diese sorgten für manche Lacher im Saal, wenn etwa eine Wegbeschreibung in ausgeprägtem Lustenauer Dialekt erklang, Verweise auf die Deutsche Bahn oder humorvolle Anmerkungen über bekannte Musiker in den Text eingeflochten wurden. Ein weiteres musikalisches Zitat legte der Komponist den Posaunenparts zugrunde. Sie brachten als Schlange Kaa aus dem Dschungelbuch eine unheimliche Stimmung ein, die durch pyrotechnische Effekte verstärkt wurde.
Aufhorchen ließ die Transformation des Waldhornsolos hin zu einem rhythmisch betonten afrikanischen Spiritual. Der Perkussionist Mathias Schmidt hat seinen Kollegen Martin Schelling in den Schlagwerkstimmen hervorragend und originell unterstützt. Aus seiner Feder stammte auch der 'chinesisch' anmutende Abschnitt, der in ein französisch inspiriertes Orchestertutti mündete. Schließlich sorgten die Trompetenfüchse mit ausgefallenen Spieltechniken und Vokallauten zu Westernmusik für Stimmung im Saloon.

Inspirierendes Bühnenbild und Beleuchtung

Das Bühnenbild in Form eines angedeuteten Zirkuszeltes war sparsam, aber imposant ausgestattet. Die auf die Leinwand projizierten Zeichnungen von Erin Bereuter sorgten dafür, dass alle der Geschichte gut folgen konnten, pyrotechnische Effekte sowie die Lichtführung verstärkten die Atmosphäre exzellent.
In aufwendigen Proben haben sich die Musikant:innen auf die große Show vorbereitet. Alle musizierten mit Freude und großem individuellem Einsatz, unterstützt von einigen mitwirkenden Musikpädagog:innen in den Stimmgruppen. Das Finale bildete die musikalische Klammer zur Ouvertüre, wo alle miteinander mit viel Esprit ein „Viva la musica“ in den Raum stellten.
Die Güte eines Musiktheaters, bei dem viele Kinder anwesend sind, kann stets auch an deren Reaktionen gemessen werden, denn Kinder haben ein untrügliches Gespür für gute Geschichten. Ruhig und konzentriert war es im gut gefüllten Saal während der gesamten Vorstellung. Alle hingen an den Lippen von George Nussbaumer und waren ganz Ohr für die musikalische Show, die im Zirkus Luft-i-Kuss abging.