2025 ist der erste Festspielsommer in Bregenz unter der Leitung von Intendantin Lilli Paasikivi (Foto: Anja Köhler)
Silvia Thurner · 25. Feb 2024 · Musik

Einzigartiges Hörerlebnis in absoluter Dunkelheit

Jubel für das Ensemble plus nach der Aufführung von G.F. Haas‘ „Solstices“

Schon im vergangenen Jahr erhielt das Ensemble plus für die Mitwirkung bei der Tanzperformance „Solstices“ mit dem walktanztheater.com viel Zustimmung. Nun legte der Ensembleleiter Guy Speyers noch einmal nach. Das Ensemble plus spielte das 70-minütige Werk auf CD ein und lud zur „Live-Aufnahme“ in den ORF Dornbirn. Bis auf den letzten Platz war das Publikumsstudio besetzt. Die Spielanweisung „in völliger Dunkelheit zu spielen“ versprach ein einmaliges Hörerlebnis. Mutig nahmen die Musiker:innen die enorme Herausforderung an und faszinierten mit ihrer energetischen Spielart. Die Aufführung von „Solstices“ wird nicht nur in die Ensemblegeschichte eingehen, sondern auch als einzigartiges Konzertereignis in Vorarlberg in Erinnerung bleiben.

Der in New York lebende Komponist Georg Friedrich Haas wird weltweit geschätzt und seine Werke wurden und werden vielfach ausgezeichnet. Unter anderem bezieht sich ein Qualitätsmerkmal seiner musikalischen Ideen auf die Aufführungspraxis. Seine Kompositionen werden bei den namhaftesten Festivals aufgeführt und Georg Friedrich Haas genießt bei den Ensembles für neue Musik höchste Anerkennung. Deswegen ist es eine besondere Würdigung, dass das Ensemble plus von Georg Friedrich Haas die Erlaubnis erhalten hat, sein 2016 entstandenes Werk „Solstices“ in Dornbirn als österreichische Erstaufführung zu interpretieren. Über den Kontakt von Brigitte Walk kam Guy Speyers ins Gespräch mit G.F. Haas.
Die Aufführungsanweisung „in vollkommener Dunkelheit zu interpretieren“, stellt sowohl an die Musiker:innen als auch an die Veranstalter enorme Herausforderungen. So mussten im Publikumsstudio des ORF-Landesstudios tatsächlich alle Lichter ausgehen, auch die Notleuchten und jede einzelne Leuchtdiode in den zahlreichen Apparaturen des Studios.
Hoch konzentriert agierten die Musiker:innen Michaela Girardi (Violine), Guy Speyers (Viola), Jessica Kuhn (Violoncello), Nikolaus Feinig (Kontrabass), Anja Nowotny-Baldauf (Flöte), Hauke Kohlmorgen (Klarinette), Thomas Gertner (Posaune), Benjamin Kuhn (Gitarre), Martin Gallez (Klavier) und Stefan Greussing (Perkussion). Sie ließen sich auf die differenzierten Spielanweisungen von Georg Friedrich Haas ein und hatten lange geprobt, um die fein schattierenden Tonhöhenunterschiede in einem guten Austausch miteinander zu modellieren. Dem Werk sind auch Spielregeln und Spielarten zugrunde gelegt, mit denen die Ausführenden frei und im gegenseitigen aufeinander Hören agieren und reagieren können. Die lange Vorbereitungszeit und Einarbeitung in die spezifische Tonwelt von G.F. Haas brachte das Ensemble in seinem Qualitätsanspruch ein großes Stück weiter.
Zu „Solstices“ gab es wohl genauso viele Zugänge, wie Zuhörende im ORF Publikumsstudio Platz genommen haben. Wahrnehmbar war das Gemeinschaftserlebnis, denn die Konzertbesucher:innen hörten konzentriert und ruhig zu. So wirkte die Klangentfaltung im Saal von Beginn an intensiv. Dazu kam die Erfahrung, dass die „Ausschaltung“ des Sehsinns den Hörsinn regelrecht puscht.
Die zehn Musiker:innen wurden als Kollektiv erfahrbar, wenn der Ensembleklang wie ein organisches akustisches Gebilde Gestalt annahm. Vor allem die energetischen Verläufe formte das Ensemble plus vielfältig und kristallisierte damit die Klangfarbenspiele großartig heraus. Mehrere Komponenten zeichneten mein persönliches Hörerlebnis aus: Die unterschiedlich ausgeformten Texturen ergaben Wellenbewegungen zwischen Ruhe und Spannung, zwischen Einzelnen und dem Kollektiv, zwischen den Streichinstrumenten, den Bläsern, den perkussiven Schallereignissen sowie dem Klavier und der Gitarre. Die sich obertonreich aufeinander beziehenden Tonkonstellationen formten unterschiedliche Klangskulpturen und -türme aus. Im Zentrum meiner Wahrnehmung waren die in reiner Stimmung erklingenden Töne des Klaviers. Die Art und Weise, wie sich die anderen Instrumentalfarben im Rahmen von drei groß aufwallenden Bewegungsverläufen einander annäherten und ihre Stimmungen allmählich der reinen Stimmung angeglichen wurden, verlieh der Aufführung eine große Wirkkraft. Dieses einmalige Hörerlebnis wird noch lange nachklingen.

https://www.ensembleplus.at/