„Tancredi“ begeistert als Hausoper der Bregenzer Festspiele in glänzender Besetzung. (Foto: Bregenzer Festspiele/Karl Forster)
Dagmar Ullmann-Bautz · 17. Mai 2024 · Theater

Eine emotionale Achterbahn!

Das aktionstheater ensemble begeistert mit „ALL ABOUT ME. Kein Leben nach mir“

Ist es mit 35 Jahren nicht zu früh, die Frage zu stellen, was nach mir sein wird? Oder ist es genau der richtige Zeitpunkt? Für das aktionstheater ensemble ist es der perfekte Zeitpunkt! Unter der Leitung von Martin Gruber haben sie – und damit sind wirklich alle gemeint: Schauspieler:innen, Musiker, Regisseur, Dramaturg, Videokünstlerin, Kostüm- und Bühnenbildnerin, Lichtdesigner – es wieder einmal geschafft, ihr Publikum mitzureißen, zu begeistern, zu schockieren und zu berühren. Sie nehmen das Publikum mit auf eine emotionale Achterbahn, öffnen die Augen und regen Diskussionen an.

Ein weiterer Höhepunkt im Schaffen des aktionstheater ensembles feierte gestern am Vorarlberger Landestheater seine Uraufführung. Mit „ALL ABOUT ME. Kein Leben nach mir“ stellte sich das Ensemble zum 35-Jahre-Jubiläum wieder einmal einer expressiven Selbstreflexion und suchte Antworten auf eine der grundlegendsten Fragen: „Was bewirkt das, was wir tun? Was macht es mit uns, mit dem Publikum, mit der Gesellschaft?“ Sie hinterfragen sich selbst mit einer Ehrlichkeit, Intensität und Vehemenz, die sehr knapp an die Schmerzgrenze geht. Und das ist neben seiner Kreativität und seinem Humor Martin Grubers allergrößtes Talent: Er treibt es immer auf die Spitze, aber nie darüber hinaus, und das mit einer absolut einmaligen Präzision!

Experimentelle Reisen mit Alleinstellungsmerkmal

Das Konzept ist immer ähnlich und trotzdem hat jedes Stück ein absolutes Alleinstellungsmerkmal. Mit jedem Stück nimmt das Ensemble die Zuschauer:innen mit auf eine spannende experimentelle Reise, eine Reise, die im Kleinen beginnt und jedes Mal Welten öffnet. Martin Gruber arbeitet mit ausgewählten Künstler:innen, mit einem Team, das sich gegenseitig liebt und 100%ig vertraut. Das ist die Grundvoraussetzung, um sich dermaßen auszusetzen, sowohl eine Außen- als auch Innenschau zu betreiben, um schlussendlich eine wunderbare, prononcierte Arbeit abzuliefern.

Überzeugende Einzel- und Gruppenleistungen

Es ist ein großartiges Ensemble, das als Einzelperson und als Gruppe überzeugt und in den Bann zieht. Egal ob es persönliche oder erdachte Geschichten sind, es sind Narrative, die wir alle kennen, die uns ertappen und uns erhellen. Wenn Isabella Jeschke sich unaufgeregt als Lügnerin outet, gleichzeitig unbarmherzige Wahrheiten rauslässt und nur kurz kichert, zieht sie mit ihrer wunderbaren Präsenz jede Aufmerksamkeit auf sich. Andreas Jähnert weiß sich zu bewegen, sich und seinen Körper zu präsentieren, weiß genau um seine Wirkung und unterstreicht sein Spiel mit augenzwinkerndem Humor. Und wieder ist es der großartige Thomas Kölle, dessen „Zipfel“ eine Rolle spielt – diesmal bleibt er jedoch in der Hose. Kölle überzeugt mit Ausdruck und Sprache, agiert zuweilen als lautstarker, aber von den Kolleg:innen nicht wirklich ernst genommener Führer. Sie ist ständig überfordert – Kirstin Schwab steht unter Druck, will wieder Kind sein und man glaubt ihr jedes Wort – einfach fantastisch. Wenn Tamara Stern den Schmerz eines ganzen Volkes aus ihrem Hara herausschreit, bekommt man einfach nur Gänsehaut. Ihre Emotionalität ist beeindruckend und stellt alles in den Schatten. Und dann ist da noch Benjamin Vanyek, ein ganz Großer, mit einer Sensibilität, die weit über die Rampe zu spüren ist. Man muss einfach den Hut ziehen vor seiner sanften Wirksamkeit.

Livemusik und Choreografie als Erzählmittel

Die Livemusik von Andreas Dauböck, Ernst Tiefenthaler, Emanuel Preuschl und Jean Philipp Viol setzt brillante Akzente, agiert mal ganz leise im Hintergrund, um sich dann wieder laut einzumischen und den Rhythmus vorgebend die Spielenden voranzutreiben. Eine einfache Choreografie zieht sich durch das Stück, hält es zusammen, erzählt das, was mit Worten nicht gesagt werden kann, erzählt von großen Ängsten, aber auch vom Mut, weiterzumachen. Die Videoinstallation von Resa Lut ist wunderschön und gleichzeitig unglaublich traurig – die Welt weint. Bühne und Kostüm von Valerie Lutz unterstützen und vertiefen die Erzählung über Menschen, die hart an sich und der Welt arbeiten. Simon Tamerl steuert das passende Licht dazu bei.

Fazit: Ein gelungenes Jubiläumsstück

„ALL ABOUT ME. Kein Leben nach mir“ ist eine fantastisch geglückte Jubiläumsproduktion, die vom Premierenpublikum frenetisch bejubelt wurde. Das sollte sich niemand entgehen lassen! Die Vorfreude auf die kommenden 35 Jahre mit dem aktionstheater ensemble ist unbeschreiblich.

weitere Aufführungen: 19./21./23./24./25.5. jeweils 19.30 Uhr
Theater am Kormarkt, Bregenz

https://aktionstheater.at/produktionen/all-about-me