Neue Ausstellung im KUB ab 1. Februar 2025: Precious Okoyomon, To See the Earth before the End of the World, 2022, 59th Biennale Vendedig, 2022 (Foto: Clelia Cadamuro, © Okoyomon)
Michael Löbl · 26. Nov 2023 · Musik

Ein pianistischer Marathon

Auf Einladung der Chopin-Gesellschaft Vorarlberg konzertierte der türkische Pianist Emre Yavuz am Freitagabend im Pförtnerhaus Feldkirch.

Emre Yavuz hat sich ein in jeder Hinsicht schwieriges und auch anstrengendes Programm ausgewählt. Vor der Pause Frédéric Chopins b-moll Sonate gefolgt von Maurice Ravels „Miroirs“, im zweiten Teil dann die b-moll von Sergei Rachmaninoff. Auch vom Publikum erforderte diese Programmzusammenstellung einiges an Konzentration.

Nach den klugen, knapp gehaltenen Einführungsworten von Dr. Anselm Hartmann zeigt Emre Yavuz, was er pianistisch kann. Und das ist absolut beeindruckend, denn alle Klippen dieser drei Gipfelwerke der Klavierliteratur wurden problemlos bewältigt. Chopins b-moll Sonate hatte Feuer und Brillanz in den ersten beiden Sätzen, der bekannte Trauermarsch überzeugte durch seine gewaltige Steigerung bis zum Ende und das in der Klavierliteratur einmalige Finale – beide Hände spielen von Beginn bis Schluss unisono, das heißt dieselben Noten im Abstand von einer Oktave – verblüffte durch seine absolute Präzision. „Musik ist das nicht“, schrieb Robert Schumann über diesen knapp zwei Minuten dauernden Satz.

Schlüsselwerk des Impressionismus

Ohne Verschnaufpause stürzte sich Emre Yunuz auf die nächste Herausforderung, Maurice Ravels „Miroirs“. Zwei dieser „Spiegelbilder“ – „Une barque sur l’océan“ und „Alborada del gracioso“ – sind auch durch ihre Orchesterfassungen bekannt geworden, die Ravel in späteren Jahren veröffentlicht hat. Bei den „Miroirs“ handelt es sich um ein Schlüsselwerk des Impressionismus und Emre Yunuz bringt die unzähligen Farbnuancen und raffinierten Klangvariationen zum Klingen und gibt jedem der fünf Stücke einen unverwechselbaren Charakter. Sowohl die „Traurigen Vögel“ aber auch das „Morgenlied eines Hofnarren“ oder das „Tal der Glocken“ wurden absolut meisterhaft umgesetzt.
Die nun folgende Pause hatten sich Pianist, Publikum und der Flügel verdient. Aufgrund einer großzügigen Spende einer Privatperson, nämlich Frau Dr. Jutta Gnaiger-Rathmanner und ihrer impulse Privatstiftung, kam die Chopin-Gesellschaft in den Besitz eines wunderschönen Bösendorfer-Flügels, der perfekt zur Akustik des Pförtnerhauses passt und von Bach bis in die Gegenwart „alle Stückeln spielt“. Auch die Pianist:innen schätzen dieses Instrument.
Emre Yavuz ist 33 Jahre alt, stammt aus Izmir und hat in Ankara, Wien, Hannover und Tel Aviv studiert, unter anderem bei Karl-Heinz Kämmerling, Arie Vardi und Fazil Say. Er gewann bedeutende Wettbewerbe in Wien und Bad Kissingen und konzertierte u. a. mit dem Dirigenten Zubin Mehta.

Keine Ermüdungserscheinungen


Auch nach der Pause war keine Entspannung in Sicht, Sergei Rachmaninoffs Klaviersonate – ebenfalls in der Tonart b-moll – ist im Gegensatz zu seinen bekannteren Werken wie dem Klavierkonzert Nr. 2 oder einigen seiner Préludes für den Zuhörer nicht leicht zu erfassen. Dass Rachmaninoff, selbst ein herausragender Pianist, seinen Interpreten und Interpretinnen immer pianistische Nüsse zu knacken gibt, ist bekannt. Emre Yavuz zeigte keinerlei Ermüdungserscheinungen, brachte Flügel und Saal zum Teil an seine akustischen Grenzen und vermittelte den Zuhörenden durch seine kluge Gliederung die komplizierte Architektur dieses anspruchsvollen und kräfteraubenden Werkes. Großer Applaus, mit einer Zugabe von Ravel bedankte sich Emre Yavuz bei seinem Publikum.
Ein beeindruckendes Konzert eines noch jungen Pianisten, der vieles zu bieten hat: Technische Brillanz, die Fähigkeit der musikalischen Gestaltung und eine große Palette klanglicher Schattierungen. Was ihm vielleicht – noch? – fehlt, ist eine gewisse Lockerheit und der Kontakt zum Publikum, der ihm allerdings gar nicht so wichtig erscheint. Viele große Musiker:innen binden die Zuhörenden ein, gehen auf sie zu und nehmen sie durch wenige Gesten und Blicke mit auf ihre musikalische Reise, insbesondere bei einem so anspruchsvollen Programm wie diesem. Vom Können her hingegen gehört Emre Yavuz zweifellos in die oberste Liga. 

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