"Die Sterne" im Spielboden Dornbirn: Frontmann Frank Spilker und Philipp Janzen an den Drums (Foto: Stefan Hauer)
Peter Niedermair · 19. Jun 2023 · Literatur

Dietmar Fitz /Yasmin Ritter: „Das Paradies am Ende der Welt. Die ,Seeler' und das Härdle“

Dietmar Fitz träumt heute noch von der Kindheit und den Erlebnissen am See. Er dachte sich vor einiger Zeit, diese lebensprägenden Erfahrungen entlang dem Quaken der Frösche am See wolle er einmal niederschreiben.

Er ging in das Archiv der Marktgemeinde Hard, vertiefte sich in Quellen, Biographien, Karten und Pläne, traf die Leiterin des Textildruckmuseums, Yasmin Ritter, und sie beschlossen dieses Buch „Das Paradies am Ende der Welt. Die ‚Seeler‘ und das Härdle“ zu machen.

Jetzt, nach drei Jahren intensiver Forschung, geht das Buch Mitte Mai in Druck und wird am Mi, 28. Juni um 19 Uhr im Pfarrzentrum Hard präsentiert. Die zahlreichen historischen Fotos sowie die Texte von Dietmar Fitz und die Interviews, die Yasmin Ritter mit mehr als 25 Harderinnen und Hardern führte, wurden von den Gestaltungsprofis Kurt Dornig und Günter König zwischen zwei Deckel gepackt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Der Band ist historisch quellenfundiert, sprachlich auf den verschiedenen Ebenen sachlich und erzählerisch-poetisch formuliert und sehr gut lesbar.  

Der Ortsteil „Am Hard“ (Wald) wurde namensgebend für die Gemeinde.

Im Intro zum Harder Textildruckmuseum steht: „Das um 1570 erbaute Wasserschlösschen Mittelweiherburg im Quellgebiet des Harder Dorfbachs war eine Wiege der Textilindustrie. Ab 1794 befand sich hier die erste Stoffdruckerei des Elsässer Fabrikanten Samuel Vogel. Im Jahr 1838 erwarb sie der Schweizer Fabrikant Melchior Jenny für die Firma Jenny & Schindler. Nach 1867 wurde die Stoffdruckerei in der Mittelweiherburg von Samuel Schindler weitergeführt, bevor sie 1880 infolge des Dorfbach-Wasserstreits ‚Hell gegen Trüb‘, des ersten großen ökologischen Konflikts, den Vorarlberg erlebte, schließen musste.“ Samuel Jenny betrieb seine Stoffdruckerei am Lauterachbach noch bis zum Beginn des 1. Weltkrieges 1914 weiter. 1997 positionierte sich das Harder Heimatmuseum als Textildruckmuseum neu. Heute werden dort alle Techniken des Formstechens und Druckens gezeigt und erklärt. Darüber hinaus werden die sozialgeschichtlichen Hintergründe der Industrialisierung bis in die 1930er Jahre vorgestellt.
Im Vorwort zu „Das Paradies am Ende der Welt“ schreibt Dietmar Fitz: „Wer sind die Seeler? Diese Frage hat mir jeder gestellt, dem ich von meinem Buch erzählt habe. Ich hatte das große Glück, ein Seeler zu sein. Wir wohnten in einem abgeschlossenen Gebiet, es existierte keine Durchfahrtsstraße. Am Ende einer Sackgasse war man im sogenannten ‚Ortsried‘, dem Härdle. Nur ein Privatweg führte durch das Areal der Familie Jenny über eine kleine Brücke bis zur Bootswerft Biatel. Dahinter war für uns Kinder bis in die 1960er-Jahre das „Ende der Welt“, das Reutele, mit den Sumpf- und Mockenwiesen und dem unüberwindbaren Reutelegraben.“ Der Ortsteil „Am Hard“ (Wald) wurde namensgebend für die Gemeinde. „Am Hard“ (erstmals erwähnt 1574) wurden die Gärten und Wiesen im Viereck Haus Plant, altes Zollamt, Armenhaus, Jennyhaus (Seestraße 47) und den Härdleweg hinauf bis zur Bäckerei Hammerl bezeichnet. Die alten Harder am See kannten die Redeweise: „Mir gond ums Hard“, wenn sie am Abend die Härdlerunde spazieren gingen.

Die Jenny Arbeiterhäuser (Borgo)

In der Zeit nach 1890 stieg die Einwohnerzahl von Hard erheblich an. Hauptgrund waren die vielen ArbeitsmigrantInnen aus dem Trentino, die angeworben wurden, um dem Mangel an Arbeitskräften, vorwiegend in der Textilindustrie, zu begegnen. Insbesondere die Stoffdruckerei Jenny sowie die neuerrichtete Kammgarnspinnerei benötigten dringend Mitarbeiter. Dazu kam der Bedarf hunderter Bauarbeiter für die Begradigung des Rheins bei Fussach. „Das führte zu einer enormen Nachfrage nach Wohnraum. Zu Beginn waren die Wohnungssuchenden auf sich selbst gestellt, Samuel Jenny kaufte aber nach und nach Häuser, um Quartier für seine italienischen Arbeiter bereitstellen zu können. Auch das war wie ein Tropfen auf dem heißen Stein. Deshalb erwarb Jenny später mit seinem Sohn Ernst Richard das Grundstück der ehemaligen Ziegelhütte von den Familien Hermann. 1896 begann er mit der Errichtung der ersten Arbeiterhäuser Seestraße 39, 41 und 43 direkt am See, die bis 1898 bezugsfertig waren. Die beiden Mietshäuser Seestraße 45 und 47 waren 1903 fertig gestellt. Die ‚Jenny-Hüsr‘ am See, auch ‚Italienerhüsr‘ oder ‚Borgoland‘ genannt, boten in dreißig Wohnungen Unterkunft für etwa 250 Menschen, überwiegend trentinische MigrantInnen aus dem Val Sugana.“ (Fitz/Ritter: Das Paradies am Ende der Welt, S. 107)

Die Interviews

In ihrem soziologisch-poetischen Kommentar zu den lesenswerten Interviews mit Harderinnen und Hardern schreibt Yasmin Ritter: „Die Seeler in diesem Buch waren damals Kinder und Jugendliche, sie lebten in großer Freiheit, in unberührter Natur, nichts war verboten. Es war eine Zeit, in der Geld nicht diese Bedeutung hatte, weil niemand wirklich Geld hatte. So war es eine Zeit, in der Neid und Habgier nicht existierten. Und, es war auch eine Zeit von Krieg, Bomben und Besatzung. Jeder der Menschen, die wir interviewen durften, sagte nahezu denselben Satz: ‚Wir waren niemals allein, es war immer jemand da, wir haben aufeinander geachtet.‘ Dieses Buch ‚Das Paradies am Ende der Welt. Die ‚Seeler‘ und das Härdle‘ ist deshalb so wertvoll, weil es eine Zeit dokumentiert, die man sonst vergessen würde, eine Zeit ohne Fernseher und Telefon, eine Zeit, in der man sich traf, miteinander redete, abends zusammensaß, Musik machte, Geschichten erzählte und dann mit dem Quaken von tausenden von Fröschen und dem Gebell der Hunde einschlief.“
Dietmar Fitz und Yasmin Ritter kontextualisieren ihren Text wie die Interviews in die historischen Quellen, die in Hard besonders von Reinhard Mittersteiner in den Grundlagen geforscht und publiziert wurden. Seine wissenschaftlich-historische Arbeit: Die Tüchlebarone. Zur Geschichte der Textildruck- und Textilfärbeindustrie in Hard vom späten 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert, Hard, 1999; weiters gibt es von Nicole Ohneberg und Meinrad Pichler: Halb Hard, Die Zuwanderung aus dem Trentino, Armellini, Joe (Hrsg.), 2019. Die literarisch interessanten Gedichte stammen von Eugen Stadelmann, aus der Sammlung „Üsre Hardar Mundart. Heiteres und Besinnliches in Mundart, erschienen im Hecht Verlag Hard, 2005. Weiters hat Eugen Stadelmann wesentlich die Geschichte der Marktgemeinde Hard erforscht. (50 Jahre Marktgemeinde Hard 1955)

Dietmar Fitz /Yasmin Ritter: Das Paradies am Ende der Welt. Die „Seeler“ und das Härdle. Eigenverlag, Hard 2023, 312 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-200-09145-0, € 36