Die Berliner Band „Milliarden“ beim Poolbar Festival (Foto: Darius Grimmel)
Raphael Einetter · 11. Jun 2024 · Literatur

Die Vorarlberger Illwerke im Wandel der Zeit

Michael Kaspers Rückblick auf „100 Jahre Energie aus Vorarlberg“

Dieses vor kurzem erschienene Buch ist jetzt schon ein Grundpfeiler der hiesigen Wirtschaftsgeschichte: das reich bebilderte Werk „100 Jahre Energie aus Vorarlberg“ anlässlich des 100-Jahre-Jubiläums der Vorarlberger Illwerke von Michael Kasper. Der inzwischen als Direktor des vorarlberg museums agierende Autor kann bereits eine ganze Reihe an historischen Abhandlungen zur Geschichte des Montafons vorweisen. Dabei behandelte er in der Vergangenheit schon mehrfach die Zeit des Nationalsozialismus im lokalhistorischen Kontext.

Dieser Aspekt kommt auch im vorliegenden Band, der im Auftrag der illwerke vkw AG entstandenen ist, nicht zu kurz. Thematisiert wird die in bisherigen Publikationen oftmals ausgesparte Frage der Zwangsarbeit im Vorarlberger Kraftwerksbau. Außerdem spannt Kasper den Bogen von den Anfängen der Stromerzeugung über die meist schwierigen Lebensumstände der Arbeiterschaft in der Zwischenkriegszeit bis zu den Entwicklungen und Erfolgen rund um die Jahrtausendwende.

Pioniergeist mit Weitblick

Auch wenn dem Montafon aufgrund seiner Topographie naturgemäß in der Vorarlberger Kraftwerksgeschichte eine gewichtige Rolle zukommt, wirft Kasper insbesondere zu Beginn seiner Publikation auch einen Blick auf die Anfänge der Stromerzeugung in den anderen Landesteilen. So verfügte das Land im äußersten Westen der Habsburgermonarchie vor dem Ersten Weltkrieg bereits über mindestens 114 Stromgeneratoren, von denen jedoch 87 ausschließlich zur Selbstversorgung der Industrieanlagen dienten. Dennoch konnte mit den restlichen Generatoren bereits eine flächendeckende Landesstromversorgung gewährleistet werden, was einige Jahre darauf das bereits früh offen antisemitisch agitierende Vorarlberger Volksblatt mit der Unabhängigkeit von „polnischen Petroleumjuden“ gleichzusetzen wusste. In der ersten Hälfte der Zwischenkriegszeit erfuhr der Ausbau der Wasserkraft einen Auftrieb, den die politischen Vertreter des kleinen Bundeslandes in geordnete Bahnen zu lenken versuchten. So mussten für die Errichtung von Stauseen und größeren Kraftwerksanlagen ausländische Geldgeber gewonnen werden, die durch ihre Investitionen an den Wasserkraftwerken beteiligt wurden. Den schweizerischen und deutschen Partnern wurden dafür geregelte Strombezugsanteile sowie etwa auch eine Steuerfreiheit zugestanden. Allerdings wurden die Konzessionen mit einem Heimfallsrecht verknüpft, welches sich in weiterer Folge als wohlüberlegter und von Weitblick zeugender Schachzug entpuppen sollte. Nach ersten richtungsweisenden Verträgen im Jahr 1922 erfolgte im November 1924 in Bregenz die Gründung der Vorarlberger Illwerke Ges.m.b.H. sowie 1926 die Umwandlung derselben in eine Aktiengesellschaft. Für die Baustellen im Montafon benötigte es daraufhin umfangreiche Transporteinrichtungen, wofür man auf die Montafonerbahn zurückgriff. Seit 1905 verkehrte diese bereits als erste elektrisch betriebene Normalspurbahn der österreichisch-ungarischen Monarchie von Bludenz bis Schruns.

Zwangsarbeit im Kraftwerksbau

Ab Tschagguns wurde in den Jahren 1926 bis 1928 eine zusätzliche, 18 Kilometer lange Schmalspurbahn nach Partenen errichtet, an die sich der Schrägaufzug nach Trominier und die Höhenbahn bis zum Vermuntsee anschlossen. Rund 1.000 Höhenmeter konnten somit auf Gleisen überwunden werden, wobei die verschiedenen Spurbreiten zur Folge hatten, dass die normalspurigen Waggons auf schmalspurige Unterbauwagen aufgefahren werden mussten, um Transportgut ohne Umladen weiterbefördern zu können. Baustellenbedingt kam es im Montafon außerdem zu einer spürbaren Zuwanderung, da der Bedarf von bis zu 2.000 Bauarbeitern im Land selbst nicht bedient werden konnte. Wie Teile der Bevölkerung darauf reagierten, skizziert Michael Kasper anhand von Zeitzeugenberichten. Dabei werden auch die Befürchtungen konservativer Politiker und Behörden in Hinblick auf die „innerösterreichischen Arbeitskräfte“ einerseits, den schwierigen Arbeitsbedingungen für ebenjene andererseits, gegenübergestellt. Tödliche Unfälle finden ebenso Platz wie die „Ausschaffung“ arbeitslos gewordener Zuwanderer oder wiederholte Großstreiks gegen die schlechte Bezahlung. Zumindest der Faktor Arbeitslosigkeit sollte einige Jahre später plötzlich keine Rolle mehr spielen. Nach dem sogenannten „Anschluss“ Österreichs wurden die westlichen Bundesländer aufgrund der potenziell nutzbaren Wasserkraft der deutschen Rüstungsindustrie untergeordnet. Das sollte dazu führen, dass 62 Prozent der bis 1945 errichteten Wasserkraftwerke auf Tirol und Vorarlberg entfielen. Nachdem zunächst auf Vorarlberger Arbeitskräfte gesetzt wurde, änderte sich im Laufe der Jahre die Belegschaft der als kriegswichtig eingestuften Baustellen drastisch. Im März 1945, kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, waren in ganz Vorarlberg über 7.700 „Fremdarbeiter“ gemeldet. Zusätzlich wurden mehrere tausend Kriegsgefangene und verschleppte Zivilisten zur Arbeit auf den Großbaustellen wie dem Silvretta-Stausee auf der Bielerhöhe gezwungen. Auch Beispiele von gelungenen und missglückten Fluchtversuchen sowie vollzogenen Hinrichtungen an Zwangsarbeitern behandelt Kasper in diesem Kapitel. Zugleich beschäftigt er sich aber auch mit dem Thema Luftabwehr, da die Kraftwerksanlagen als potenzielle Ziele von Fliegerangriffen mit Flakgeschützen, Minenvorhängen und Tarnbemalung geschützt werden mussten. Nicht zuletzt ist auch über die Verhinderung der von den Nationalsozialisten geplanten Sprengung der Staumauer zu lesen, wodurch eine Katastrophe für das Tal verhindert werden konnte. Neben der ausgewogenen Darstellung der Ereignisse dieser Zeit sind es insbesondere die persönlichen Berichte damals beteiligter Personen, denen Michael Kasper viel Platz einräumt und welche die Geschehnisse aus einem persönlichen Blickwinkel gut begreiflich werden lassen. 

Nachkriegsgeschichte und Fusion

Durch wiederum ausgesprochen informative, wenn auch teils sehr ausführliche und recht häufig eingeflochtene Quellenzitate erfahren die Leser:innen von bis heute positiv nachwirkenden Entscheidungen der Nachkriegszeit. Angeschnitten werden außerdem weitere Ausbaustufen von Anlagen, zum Beispiel dem Kops- oder dem Rodundwerk, und verschiedene Facetten des Wachstums wie die Errichtung von Werkssiedlungen oder die Wechselwirkungen mit dem Tourismus. Mit der Darstellung von technischen Entwicklungsschritten bis in die unmittelbare Gegenwart sowie den Auswirkungen der Fusion zur heutigen illwerke vkw AG zeichnet Michael Kasper ein umfassendes Gesamtbild. Wenngleich auf all diese Themen noch ausführlicher eingegangen werden könnte, erscheint der gesetzte Schwerpunkt auf der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stimmig. Schließlich überzeugt das optisch sehr ansprechend gestaltete Werk auch aufgrund gezielt gesetzter Abbildungen aus den bemerkenswerten Fotobeständen des Illwerke-Archivs.

Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR Juni 2024 erschienen.

Michael Kasper: 100 Jahre Energie aus Vorarlberg. illwerke vkw AG, Studien Verlag 2024, 432 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, ISBN 978-3-7065-6399-4, € 39,90

„Täler in Flammen“, Hrsg. v. M. Kasper, S. Maier, J. Flury; Impulsreferat v. M. Tschaikner
Do, 13.6., 19 Uhr
Montafoner Heimatmuseum, Schruns

Rahmenprogramm der illwerke vkw AG zum 100-Jahre-Jubiläum unter www.energieausvorarlberg.at/veranstaltungen