Aki Takase erforscht seit Jahrzehnten die Jazz-Geschichte und schreibt gleichzeitig an ihr weiter. (Foto: Stefan Hauer)
Silvia Thurner · 23. Mär 2025 · Musik

Die Musik vom Pult aus getanzt

Ein herzerfrischendes Bregenzer Meisterkonzert mit vielen Qualitäten

Ein derart unkonventionelles Meisterkonzert hat das Publikum im Bregenzer Festspielhaus noch nicht erlebt. Vor der Kulisse der zeitgenössischen Kunstmesse STAGE spielte das Stuttgarter Kammerorchester unter der Leitung von Nil Venditti. Die italienisch-türkische Dirigentin begrüßte die Zuhörenden mit einem fröhlichen „Buena Sera Bregenz“ und leitete die Musiker:innen mit großer Aussagekraft. Sie schaffte es mit ihrem Dirigat, die Werke von Fazıl Say, Béla Bartók, W.A. Mozart und Felix Mendelssohn Bartholdy musikalisch mitreißend auszugestalten und mit viel Kontakt zum Publikum zu vermitteln. Das Orchester musizierte kommunikativ und in bester Spiellaune. Als Solistin zog Sayaka Shoji in Mozarts Violinkonzert KV 219 die Zuhörenden in ihren Bann. Ein Wermutstropfen der Werkdeutung bestand allerdings darin, dass die atmosphärischen „Wellenlängen“ zwischen der Violinistin und dem Orchester nicht optimal übereinstimmten.

Nil Venditti ist 31 Jahre alt und hat als Dirigentin bereits eine internationale Karriere gestartet. Sie im Rahmen eines Bregenzer Meisterkonzertes zu erleben, war eine Bereicherung, denn sie schaffte es mit Leichtigkeit, die Orchestermusiker:innen zu Höchstleistungen zu führen. Zugleich gab sie in einem direkten Kontakt zum Publikum Hinweise auf markante und somit aufschlussreiche Passagen innerhalb des musikalischen Flusses und machte damit wohl vielen ein besonderes Musikerlebnis möglich.
Mit Fazıl Say verbindet Nil Venditti eine Freundschaft, sie kennt die Werke des türkischen Komponisten genau. Das kam in der Interpretation der Chamber Symphony op. 62 von Fazıl  Say wunderbar zum Ausdruck. Klar in der Gestik, mit straffen Phrasierungen und guten Artikulationen sowie aufsehenerregenden perkussiven Spiel- und Bogentechniken formten die Orchestermusiker:innen die Themen. Sie musizierten mit einem kammermusikalischen Einverständnis, während die quirlige Dirigentin am Pult die ungeraden Rhythmen mittanzte. Nie kamen dabei die musikalischen Feinheiten der Musik zu kurz: Der orientalische Einschlag der Tongebung sowie Flageoletts der Violinen und Bordunklänge unterstrichen das musikalische Ambiente und besonders die exakt austarierten Akkorde lenkten die Aufmerksamkeit auf sich. Auch im Finale wirkten die Musiker:innen sehr präsent, sie personifizierten die Instrumentalstimmen, stellten amüsante Dialoge in den Raum und führten mitten hinein in das Istanbuler Markttreiben. Zuvor hatte Nil Venditti mit ihrer anschaulichen Einführung Bilder in die Köpfe der Zuhörenden gesetzt.
Hervorragend zu diesem Werk passte Béla Bartóks Divertimento für Streichorchester (SZ 113). Auch diese Musik sprühte Energie, Dynamik und zugleich eine vielschichtige Klangsinnlichkeit. Die charakteristischen Gegensätze der Themen lotete das Orchester im Allegro in kommunikativem Kontakt untereinander aus. Das Adagio erklang mit Dämpfern und weich fließenden Bögen. Dabei erzeugten die chromatischen Linien eine nebulöse Stimmung, aus der sich melodische Gesten herauskristallisierten. Auch in dieser Passage war der gemeinsame Atem der Orchester:musikerinnen spürbar. Kraftvoll und plastisch sowie mit transparenter Stimmführung wurde sodann der kontrapunktische Finalsatz in den Raum gestellt.

Empfindsam gestaltende Solistin

Zum gemeinsamen Musizieren war die international gefeierte und vielfach ausgezeichnete Violinistin Sayaka Shoji eingeladen. Sie musizierte Mozarts berühmtes Violinkonzert (KV 219) mit großer Sensibilität und einer wunderbar ausdrucksstarken Tongebung. Überdies zogen die Klangeigenschaften ihres Instruments, Stradivarius „Récamier“ von 1729, die Zuhörer:innen in ihren Bann. Der Konzertauftritt schien jedoch unter keinem guten Stern zu stehen. Zuerst verspätete sich die Solistin bei ihrem Auftritt und sie wirkte mit ihrer Gestik und Mimik auch gesundheitlich nicht in Topform. Sayaka Shoji spielte den Solopart ganz in sich gekehrt und mit wenig Kontakt zum Orchester und zur Dirigentin. So waren zwei bewundernswerte Einzeldarbietungen zu erleben: Einesteils eine höchst emphatisch musizierende Solistin und andernteils ein aufmerksam begleitendes Orchester. Ein gemeinsamer Atem zwischen beiden stellte sich jedoch meinem Empfinden nach nicht ein.
Die Sinfonia X, Felix Mendelssohn Bartholdy hat sie im Alter von 12 Jahren komponiert, ergänzte die gut abgestimmte Werkauswahl dieses Meisterkonzertes hervorragend. Die Lehrmeister des Hochbegabten, vor allem Carl Philipp Emanuel Bach und Mozart, kamen zur Geltung und die markanten Gewichtungen und gegenläufigen Linien wiesen bereits auf Mendelssohns späteren Geniestreich „Sommernachtstraum“ hin. Auch dieses Werk gestalteten die Musiker:innen mit Esprit und erfrischender Dynamik aus.
Am Schluss gab es jubelnden Applaus für das amüsante und inspirierende Konzerterlebnis.

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