Daniel Garcia Trio: „Wonderland“
„Wer nach außen schaut, träumt; wer nach innen schaut, erwacht“ – der in Madrid lebende spanische Pianist Daniel Garcia hat ein Zitat von C. G. Jung als Motto seines aktuellen Trio-Albums gewählt. “Ich glaube, dass es nur eine Person gibt, die dich wirklich und zutiefst kennen kann, und das bist du selbst ... auch wenn das unweigerlich nicht immer der Fall ist. In den riesigen, rätselhaften Weiten unserer inneren Welt liegt ein Ort, den wir oft übersehen - ein Zufluchtsort, der vom Chaos des Alltags unberührt bleibt, wo sich Ängste und Träume in einem zarten Tanz vermischen. Dies ist der Bereich, der unser wahres Selbst formt, ein Ort, den ich Wunderland nenne. Es ist in diesem geheimen Zufluchtsort, wo unsere tiefsten Illusionen und sehnlichsten Hoffnungen ruhen und uns durch das Labyrinth des Lebens führen. Das Album ‚Wonderland‘ ist eine Einladung, diese innere Landschaft zu erkunden.”
Garcias mitgelieferter Begleittext klingt phasenweise etwas salbungsvoll, denn „jeder Track dient als ein Portal, eine Einladung, sich unterschiedliche Facetten der menschlichen Natur anzusehen“, er will „die komplexen Emotionen und Erfahrungen, die unser inneres Leben bestimmen, spiegeln“, und sieht es als „eine Herausforderung, sich unseren tiefsten Ängsten zu stellen, unsere Träume zu pflegen, unsere Illusionen zu hinterfragen und letztlich an der Hoffnung festzuhalten.“ Was würde besser zu diesen Überlegungen passen als der wunderschöne, sehnsuchtsvoll-nachdenkliche, solo auf dem Piano interpretierte Opener „Paz“ mit seinen dramatischen Aufwallungen? Aber schon das zweite Stück „Gates to the Land of Wonders“ erinnert daran, dass wir es hier mit einem der interessantesten Piano-Trios des europäischen Jazz zu tun haben. Das kubanische Rhythmusgespann mit Reinier „El Negrón“ am Kontrabass und Michael Olivera an den Drums steigt gleichermaßen sensibel wie druckvoll ein und untermauert auf geniale Weise Garcias kraftvolle Piano-Läufe. Der kreative Dreier spielt schon seit neun Jahren zusammen, hat bislang drei Alben veröffentlicht und unzählige Konzerte gespielt – Garcia konnte die 12 neuen Stücke also mühelos für alle Beteiligten maßschneidern. Im gleichermaßen stimmungsvollen wie abwechslungsreichen, sechs Minuten langen Titelstück „Wonderland“ teilt sich Garcia mit dem israelischen Gitarristen Gilad Hekselman – teilweise unisono – die Melodiearbeit. Die in New York lebende katalanische Vokalistin Lau Noah verzaubert mit dem Singer-Songwriter-artigen „You and Me“, ihre madrilenische Kollegin Verónica Ferreiro mit einer von emotionalem Pianospiel umrahmten Version des viel spanisches Flair ausstrahlenden Traditionals „La Tarara“. Wenn auch im Vergleich zu den Vorgängeralben die bunte musikalische Jazz-Flamenco-Klassik-Fusion des Trios vielleicht nicht mehr ganz so Flamenco-lastig ist, so spielen ethnische Einflüsse dennoch eine wesentliche Rolle. Für das energievolle „Gathering“ ließ sich Garcia etwa von einer Melodie inspirieren, die er zufällig auf einer Straße seiner Heimatstadt Salamanca gehört hatte, „Mi Bolita“ und „Witness the Smile“ wiederum sind eindeutig kubanisch infiziert. Egal ob die Stücke nun allen außermusikalischen Aufladungen an Wünschen und Vorstellungen gerecht werden können oder nicht, dem Hörvergnügen tut dies keinerlei Abbruch. Angesichts dieses durch eingängige Melodien, zauberhafte Stimmungen, mitreißende Rhythmen und eine ansteckend wirkende Spielfreude geprägten „Wonderland“, sind „Tears of Joy“ keineswegs nur beim gleichnamigen achten Stück angebracht.
(ACT)
Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR September 2024 erschienen.