Chapeau!
Die Stella Musikhochschule wagte sich mit „L’incoronazione di Poppea“ von Claudio Monteverdi an ein Werk aus dem italienischen Frühbarock.
Über ein halbes Jahr intensive Vorbereitung und die fächerübergreifende Zusammenarbeit mehrerer Abteilungen des Hauses stecken hinter diesem grossen Musiktheaterprojekt, das nun in zwei Aufführungen im Festsaal der Hochschule dem Publikum präsentiert wurde. Und man kann durchaus von einem grossen Wurf sprechen.
Forschung und Lehre, Gesang, Alte Musik und Musikwissenschaft arbeiteten für dieses Projekt Hand in Hand. Seit 2023 ist Dr. Hendrik Schulze Professor für Musikwissenschaft an der Stella und eines seiner Spezialgebiete ist die italienische Musik des 16. bis 18. Jahrhunderts. Gemeinsam mit seinen Studierenden der University of North Texas, wo er mehrere Jahre tätig war, hat er eine Neuausgabe der Oper „L’incoronazione di Poppea“ von Claudio Monteverdi erarbeitet, die im Verlag Bärenreiter erschienen ist. Die Ausgabe bildet die Grundlage für alle aktuellen Aufführungen des Werkes und so lag es auf der Hand, dieses Wissen in die Tat umzusetzen und Monteverdis Werk in einer wissenschaftlich fundierten Version auf die Bühne zu bringen.
Ein fächerübergreifendes Projekt
Beteiligt waren neben der Abteilung Musikwissenschaft die drei Gesangsklassen von Judith Bechter, Dora Kutschi und Clemens Morgenthaler. Die Einstudierung lag in den Händen von Johannes Hämmerle, Editha Fetz und Clau Scherrer, Regie führte Dora Kutschi. Monteverdis Oper enthält viele größere aber auch kleinere Rollen und da man möglichst viele Studierende in dieses Projekt einbinden wollte, wurden acht Partien doppelt besetzt. So konnten die Besucher:innen der einen oder anderen Aufführung am Montag- und Dienstagabend jeweils acht Sängerinnen und Sänger nicht hören. Neben den szenischen und musikalischen Proben arbeiteten die Studierenden auch musikwissenschaftlich und beleuchteten verschiedene Aspekte des Werkes. Teile dieser Arbeit kann man im Programmheft nachlesen.
Im Mittelpunkt der dreiaktigen Oper steht die intrigante Poppea, Gattin des Ottone, die unbedingt Kaiserin werden will und dieses Ziel durch allerlei Intrigen und Verführungskünste am Ende auch erreicht. Nerone, besser bekannt als Kaiser Nero, der angeblich die Stadt Rom angezündet hat, treibt seinen Lehrer Seneca in den Selbstmord, verbannt seine Ehefrau, heiratet Poppea und lässt sie zur Kaiserin krönen. Als Begründung dafür, Opern zu aktualisieren und in die Jetztzeit zu transferieren, wird immer gefragt: Was sagt uns dieses Werk heute noch? In Monteverdis Poppea musste man da gar nicht groß eingreifen, wenn Nerone etwa behauptet, Gesetze gälten nur für Lakaien und ein Kaiser stehe über dem Gesetz, fühlte man sich verblüffend an Personen aus der aktuellen Tagespolitik erinnert. Monteverdi und sein Textdichter Gian Francesco Busenello haben vor 350 Jahren scheinbar ewig gültige Mechanismen der Macht, der zwischenmenschlichen Beziehungen und der Politik in dieser Oper festgeschrieben.
Claudio Monteverdis Musik ist nicht zu vergleichen mit späteren Barockopern eines Antonio Vivaldi oder Georg Friedrich Händel mit ihren opulenten Arien in verschiedenen Tempi und Tonarten im Wechsel mit Rezitativen, die Handlung und Story vorantreiben. Bei Monteverdi herrscht über weite Strecken ein parlandoartiger Konversationston, der nur selten in längere melodische Abschnitte überleitet. Arien sind eher die Ausnahme und auch Charakter- und Tonartenwechsel sind noch lange nicht so ausgeprägt, wie in den Opern des Spätbarock. Dadurch wirkt die Musik mit der Zeit etwas eintönig, was auch durch die Wahl des Instrumentariums begünstigt wurde. Zwei Violinen, die aber nur selten zum Einsatz kommen, ein Cello, eine viel zu leise Theorbe sowie ein Cembalo, mehr gibt es nicht. Die Sängerinnen und Sänger müssen es also richten, und das tun sie auch.
Hohes sängerisches Niveau
Zunächst einmal verdient das gesamte Team der Stella Musikochschule größten Respekt. Er gebührt allen, die im Hintergrund für dieses Megaprojekt gearbeitet haben, Dramaturgie, Regie, Bühne, Licht, Technik und allen Sängerinnen und Sängern mit ihren teils wirklich umfangreichen Rollen in italienischer Sprache. Gesungen und gespielt wird auf hohem wenn auch unterschiedlichem Niveau. Das ist nicht anders zu erwarten, wenn Erstsemester und Masterstudierende gemeinsam auf der Bühne stehen. Es wäre daher unfair, Mitwirkende unterschiedlicher Ausbildungsstufen gegegeneinander auszuspielen. Es gab sehr viele schöne Details zu hören, ausdrucksvolle Stimmen und überzeugend gespielte Szenen. Manchmal war aber die unsaubere Intonation ein Problem, möglicherweise ist der ungewohnte Gesangsstil Monteverdis stimmlich nicht so einfach umzusetzen. Absolut herausragend waren die (nicht doppelt besetzten) Sängerinnen der beiden Hauptrollen. Sarah Schmidbauer als Nerone und Sinwon Kim in der Titelrolle der Poppea boten hochprofessionelle, überzeugende Leistungen. Sowohl stimmlich, in der musikalischen Gestaltung als auch in der szenischen Umsetzung blieb da kaum ein Wunsch offen. Zunächst ist man skeptisch, ob Sarah Schmidbauer tatsächlich die Optimalbesetzung für den furchteinflössenden Nerone sein würde, aber nach nur wenigen Minuten auf der Bühne ist ihr diese Verwandlung gelungen. Die Koreanerin Sinwon Kim hat es da als Poppea leichter. Mancher Purist wird vielleicht ihr Vibrato als zu ausgeprägt für Barockmusik empfinden, aber das ist mehr Geschmackssache als Argument. Entscheidend ist, was eine Sängerin ausdrücken kann und genau da liegen die Stärken von Sinwon Kim. Mit ihrem speziellen Timbre gibt sie der Figur der Poppea ein eindrucksvolles Profil. Es ist sicher interessant zu beobachten, wie sich der künstlerische Weg dieser hochbegabten Sängerinnen entwickeln wird.
Strippenzieher im Hintergrund
Die szenische Umsetzung von „L’incoronazione di Poppea“ mit wenig Requisiten, Projektionen von antiken römischen Bauten und einer klugen Personenregie von Dora Kutschi war geschmackvoll und machte deutlich, wie man mit einfachen Mitteln eine doch komplexe Handlung stringent und nachvollziehbar erzählen kann. Deutsche Übertitel verdeutlichten die enge Beziehung von Text und Musik und Monteverdis Kunst, Gemütszustände und Emotionen in musikalische Klangrede zu verwandeln.
Zwei Stars des Abends saßen etwas versteckt in der instrumentalen Ecke links auf der Bühne. Johannes Hämmerle leitete den Abend vom Cembalo aus, der Cellist Sebastian Pilz steuerte den Basso continuo bei. Zweieinhalb Stunden lang lieferten diese beiden Musiker den musikalischen, rhythmischen und emotionalen Unterbau für alle Gesangsstimmen und deren emotionale Zustände. Souverän und verblüffend synchron gelangen ihnen die ständigen Tempo- und Charakterwechsel, dabei verströmten sie eine musikalische Sicherheit, die vermutlich sehr viel zum Gelingen dieser beiden Aufführungen beigetragen hat.
Glückwunsch an das gesamte Team für diesen außergewöhnlichen Opernabend der Stella Musikhochschule!
https://stella-musikhochschule.ac.at