Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Peter Füssl · 20. Mär 2022 · CD-Tipp

Youn Sun Nah: Waking World

Auf ihrem letzten Album vor zwei Jahren interpretierte Youn Sun Nah unter anderem noch Titel von Marvin Gaye, George Harrison oder Leonard Cohen, davor machte sie sich aber auch schon Stücke von Tom Waits, Metallica, Nine Inch Nails, Egberto Gismonti oder Randy Newman zu eigen, oder interpretierte für Nguyen Lê den Pink Floyd-Klassiker „The Dark Side Of The Moon“. Allerdings wäre der Begriff „Coverversion“ hier viel zu kurz gegriffen, vielmehr wurde Youn Sun Nah für ihre Neuinterpretationen vielfach mit jubelnden Kritiken und angesehenen Preisen überhäuft. Die in Seoul geborene und seit 1995 in Paris lebende Sängerin steuerte zwar immer öfter auch selbst Komponiertes bei, aber erst auf ihrem elften Album innerhalb von zwanzig Jahren setzt sie ausnahmslos auf Eigenes.

Mit ihrer warmen, ausdrucksstarken, variationsreichen, am französischen Chanson ebenso wie im Jazz und an ausgewähltem Singer-Songwriting geschulten Stimme – in ihrer koreanischen Heimat war sie einst sogar als Musical-Star erfolgreich – vereint Youn Sun Nah sehr Verschiedenartiges zu einem in sich stimmigen Songzyklus, den man auch als hoffnungsvolles Aufbegehren gegen den aus der niederdrückenden Pandemie-Stimmung resultierenden Stillstand interpretieren kann. Reizvoll Reduziertes steht in wirkungsvollem Kontrast zu geschmackvoll Opulentem, Melancholisches zu beschwingt Tänzerischem, schwebend Lyrisches zu erdig Kraftvollem, akustisch Generiertes zu farbenreicher Elektronik. Xavier Tribolet (Piano, Orgel, Synthies, Drums), Thomas Naïm (Gitarren, Banjo), Laurent Vernerey (Bass), Airelle Besson (Trompete, Flügelhorn), Héloïse Lefebvre (Violine) und Guillaume Latil (Cello) erschaffen in einem reizvollen Spannungsfeld aus Jazz, Pop, orientalischen Anflügen und Folk-Artigem mit Phantasie und Einfühlungsvermögen den idealen Musik-Mix, um Youn Sun Nahs konturenreiche Vocals ins perfekte Licht zu stellen. Vielleicht das beste Album im exzellenten Oeuvre der mittlerweile 52-Jährigen, auf jeden Fall aber ihr authentischstes.

(Warner Music)

Konzert-Tipp: am 31.5. ist Youn Sun Nah im Moods in Zürich zu Gast, am 1.6. im Porgy & Bess in Wien, allerdings ist von der oben genannten Besetzung nur Gitarrist Thomas Naïm dabei.