Ethan Coen hat seinen ersten Spielfilm als Soloregisseur gedreht: „Drive-Away Dolls“. (Foto: Focus Features)
Peter Füssl · 18. Okt 2021 · CD-Tipp

Terence Blanchard feat. The E-Collective and The Turtle Island Quartet: Absence

Der aus New Orleans stammende, aber die meiste Zeit in Los Angeles lebende Trompeter Terence Blanchard hat sich in seiner rund vierzigjährigen Karriere nicht nur vom Neo-Traditionalisten zum experimentierfreudigen Jazzmusiker und -komponisten entwickelt, sondern auch mehr als vierzig Filmmusiken geschrieben – unter anderem für die meisten Spike Lee-Filme. Die brachten dem mit fünf Grammys dekorierten Multitalent auch zwei Oscar-Nominierungen (für „BlacKkKlansman“ und „Da 5 Bloods“) ein. Weniger bekannt war bislang, dass er auch Bühnenmusik für Broadway-Stücke und sogar zwei Opern geschrieben hat, was sich allerdings rasch ändern wird, weil Ende September die Metropolitan Opera in New York mit seinem „Fire Shut Up In My Bones“ die Saison eröffnen wird. Blanchard, der immer wieder auch gesellschaftspolitisch Stellung bezogen hat, ist somit der erste afroamerikanische Komponist überhaupt, der an diesem renommierten Operntempel aufgeführt wird – noch dazu mit einem Werk, in dem es unter anderem um Rassenfragen, Sexualität und Gewalt geht.

Terence Blanchards breitgefächertes musikalisches Oeuvre spiegelt sich nun auf grandiose Weise auch in seinem siebten Blue Note-Album wider, denn hier treffen Chamber-Jazz-Perlen auf Soundtrackartiges, hochenergetischer Jazz auf ganz großes Drama. Sein großartiges E-Collective mit Gitarrist Charles Altura, Pianist Fabian Almazan, Bassist David Ginyard und Drummer Oscar Seaton steuert auch höchst unterschiedliche Kompositionen und Arrangements bei, die allesamt als Hommage an den Saxophonisten und genialen Komponisten Wayne Shorter zu verstehen sind. Fünf von dessen Kompositionen aus allen Schaffensperioden – von seiner Zeit bei Miles Davis bis zu Weather Report – erfuhren außergewöhnlich faszinierende Neuinterpretationen, weil das E-Collective für dieses Albumprojekt um das in aufgeschlossenen Klassikkreisen einen hervorragenden Ruf genießende Turtle Island Quartet erweitert wurde. Dass sich die vier genialen Streicher nicht als schmückendes Beiwerk sehen, sondern ebenso innovativ wie die elektrifizierten Jazzer zur Sache kommen, versteht sich von selbst. Ganz im Gegenteil, mit dem mit knapp elf Minuten längsten Stück des Albums, dem suitenartigen „The Second Wave“ aus der Feder ihres Violinisten und künstlerischen Leiters David Balakirshnan, erhalten sie sogar ganz ohne Jazzer die Gelegenheit, die hohe Kunst in Sachen zeitgenössisches Streichquartett zu zelebrieren. Alle zehn Musiker harmonierten und inspirierten sich wechselseitig in einem Maße, dass sie wie ein Kammerjazz-Ensemble klingen, zeigt sich Terence Blanchard begeistert. Er ist überzeugt, dass Wayne Shorters Ausspruch „Jazz means I dare you“, also den Jazz als permanente Herausforderung, als Wagnis zu verstehen, die ideale Leitidee für eine zukunftsträchtige Herangehensweise an die Musik ist. Dieses Album ist ein Beweis dafür!

(Blue Note/Universal)