Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Peter Füssl · 01. Sep 2022 · CD-Tipp

„Schön, wenn Musik imstande ist, Bilder zu evozieren“ - Mose präsentieren neues Album „puls“ bei vier Konzerten

Die Vorarlberger Band Mose existiert seit mehr als 20 Jahren – also kein Vergleich zu den Rolling Stones, aber dennoch ein nahezu biblisches Alter angesichts der Schnelllebigkeit im populären Musik-Business. Aber Vorsicht, bei Mose ist nichts, wie es vordergründig zu sein scheint: so hat der Bandname absolut nichts mit dem biblischen Helden zu tun, sondern lautete ursprünglich „Moses supposes“ und bezieht sich auf einen alten englischen Nonsense-Reim, der wiederum durch den 1950-er Jahre Musical-Film „Singin‘ in the Rain“ Berühmtheit erlangte. Und mit dem Musik-Business haben die fünf Herren ohnehin nicht viel am Hut, wenngleich ihre Konzerte mittlerweile längst über den Status des Insider-Geheimtipps hinausgehen und Ö1-Tauglichkeit erlangt haben. Thomas Keckeis (Gitarre, Gesang, Bluesharp, Ukulele), Thomas Kuschny (Gitarre, Banjo, Tasten, Snare, Effekte) und Karl Müllner (Bass, Glockenspiel) zählten schon zu den Gründungsmitgliedern der Band, Markus Marte (Perkussion, Tasten, Kalimba, Effekte) ist ebenfalls bereits mehr als 15 Jahren an Bord, und Herbert Walser-Breuß (Trompete, Tuba) freut sich auch schon seit einiger Zeit, neben der Alten Musik im von Nikolaus Harnoncourt gegründeten Concentus Musicus bei Mose auch zeitlos Neues (mit-)produzieren zu können. „Puls“ heißt das zehnte Album der Band, das noch in Vor-Corona-Zeiten an drei Tagen in der Kapelle St. Arbogast aufgenommen wurde und nun in diesem Herbst bei vier Konzerten präsentiert werden soll. Mastermind der Band ist Thomas Kuschny, der die meisten Kompositionen einbringt und auch für die Nachbearbeitung der Aufnahmen zuständig ist.

Intensive Auseinandersetzung mit dem Material

Peter Füßl: 16 Stücke in 45 Minuten und 40 Sekunden, das liest sich, als ob viele Ideen eher fragmentarisch aufbereitet worden wären. Tatsächlich hatte ich nach dem Hören von „puls“ aber das Gefühl, als ob ihr nie einem Konzeptalbum näher gewesen seid, als ob es so etwas wie einen roten Faden durch die Nummern gäbe. Täuscht dieser Eindruck?

Thomas Kuschny: Den thematischen „roten Faden“ würde ich wohl eher als rudimentär bezeichnen wollen. Am ehesten ist dieser noch in der Herangehensweise an den „Puls“ in der Musik zu finden. Das von uns oft als etwas einengend empfundene Drumset wird eben durch etwas offenere Konzepte ersetzt. Das Ganze soll sich natürlich schon wie aus einem Guss anhören, dafür sorgen hoffentlich das gemeinsam erarbeitete Arrangement ebenso wie die Songreihenfolge und Postproduktion. Außerdem sind die Kompositionen ja überwiegend aus derselben Feder, was einer einheitlichen Handschrift wohl auch zugutekommt.

Füßl: Es ist schwer auszumachen, welche Passagen komponiert und welche frei improvisiert sind. Wie würdest du denn in etwa das Verhältnis einschätzen? Und wieviel Anteil haben deine Nachbearbeitungen am endgültigen Ergebnis? Zum Beispiel „Clown In The Moon“ soll sich ursprünglich ganz anders angehört haben.

Kuschny: Drei Nummern sind ursprünglich frei improvisiert, nach dem Motto: „Achtung, fertig, los!“ Sie sind allerdings nachträglich editiert worden, wie auch manche der anderen Titel. Die intensive Auseinandersetzung mit dem Material im Nachhinein führt ab und an zu Verfeinerungen oder Korrekturen. Ich sehe das als Teil des Komponierens im ursprünglichen Sinne des Wortes von „zusammenstellen“. Da kann es auch vorkommen, dass quasi nach dem aleatorischen Prinzip plötzlich eine Trompetensequenz von einem Stück zum anderen wandert usw. Bei „Clown In The Moon“ hat mich die Aufnahme nicht überzeugt, eine Wiederholung war keine Option, so ist diese Version in absolut jeder Hinsicht anders geworden, Home-Recording eben. Der ursprüngliche Clown wird aber dafür live gespielt.

Cineastische Elemente

Füßl: „Puls“ hat vielfach eine melancholische Grundstimmung – sowohl was die Trompete betrifft, als auch vom Gesang her. Aber auch eine grundlegende Schönheit, etwa in den Melodien, die aber oft durch kleine Irritationen oder Störgeräusche irgendwie spannungsgeladen wirken. Folk- und Dream Pop statt Post-Rock, Noise oder schroffen Soundexperimenten? Harmonie statt Dissonanz?

Kuschny: „Dream Pop“? Meine Güte, was soll denn das sein? Sowas wie Kuschelrock? Ich meine, die Arrangements sind es, die auch sehr harmonieselige Stücke in ein anderes Licht tauchen können. Das dissonante Element ist sicher nicht im Vordergrund, es sind nicht viele Sperrigkeiten eingebaut, diese wirken dadurch aber umso mehr. Hoffe ich zumindest.

Füßl: „Kuschel“ eventuell, Rock nicht unbedingt. 2018 habt ihr das Album „film musik“ veröffentlicht, aber auch bei „puls“ könnte man sich manche Stücke als Soundtrack für einen film noir oder einen 1960-er/70-er Spaghetti-Western vorstellen. Beinhaltet eure Musik tatsächlich so etwas wie ein cineastisches Element?

Kuschny: Das ist absolut so. Die neue Platte hätte auch ebenso gut „Film Musik Teil 2“ lauten können. Schön, wenn Musik imstande ist, Bilder zu evozieren. Ich mag das.

Füßl: Extrem nach einer Verfilmung schreit zum Beispiel das Stück „Taub“ mit seinen donnernden Bass-Grooves, der etwas aggressiveren Trompete, die sich manchmal an der Bluesharp reibt. Es ist das vorletzte Stück der Platte und tanzt angenehm aus der Reihe.

Kuschny: Na ja, die Bluesharp hast du dir vielleicht hineingewünscht, zur Trompete gesellen sich hier etwas verfremdete Melodica- und Hammondorgeltöne. Ich habe ja in jüngeren Jahren in einer sogenannten „Avant-core“-Band gespielt, alles laut und Vollgas. Mit der Zeit merkt man aber, dass seltene Spitzen mehr stechen. „Taub“ ist so ein Beispiel.

Weniger ist mehr

Füßl: Du weißt natürlich besser, was du verfremdet hast. Der Titel „The Life And Times of Deschek“ kommt gleich zweimal vor. Deschek/Teschek ist der Wiener Dialektausdruck für einen ausgenutzten oder benachteiligten Verlierer. Der Deschek muss da eine ausgesprochen gute Zeit gehabt haben, denn das erste Stück ist stimmungsvoll melancholisch, ohne jegliche Misstöne, das zweite arbeitet sehr schön ein bisschen spannungsgeladener auf ein etwas dramatischeres Finale hin. Sind solche Stücktitel eher Zufallsprodukte?

Kuschny:  Der „Deschek“ war ursprünglich sogar dreigeteilt. Die Klammer bei allen Teilen ist die ungerade Metrik und der Akkordaufbau. Deschek hat im ersten Teil eigentlich schon aufgegeben, mobilisiert dann aber doch noch seine letzten Kräfte, um schließlich doch zu scheitern. Der Titel könnte aber auch ein reines Zufallsprodukt sein. Das kann man sich aussuchen.

Füßl: Die Stücke haben oberflächlich betrachtet etwas Minimalistisches, bei genauem Zuhören entdeckt man aber eine große Vielfalt an Sounds und ausgefallenen Soundkombinationen. Manchmal geht es nur um ein paar Töne. Wie würdest du eure Soundästhetik beschreiben?

Kuschny: Mit drei Worten: Weniger ist mehr. Denn auch das Wenige vermag Dichtheit zu erzeugen. Wir sind zwar zu fünft, spielen aber kaum alle gleichzeitig. Manch einer mutiert mitunter eine ganze Nummer lang zum Zuhörer.

Füßl: Ihr habt das Album in der Kapelle St. Arbogast aufgenommen, die Präsentationskonzerte für „puls“ führen euch unter anderem wieder dorthin, aber auch in die Michaelskirche in Rankweil. Kommen sakrale Räume dem Mose-Sound besonders entgegen?

Kuschny: Das mag sein. Die langen Nachhallzeiten in Kirchen erlauben weder Schnelligkeit noch Dichtheit. Es gibt natürlich akustische Nachteile auch, aber wir haben ja schon Erfahrung mit dergleichen.

Mose präsentiert „puls“ live:
Fr, 9.9., 20 Uhr: Kapelle St. Arbogast
Sa, 10.9., 20 Uhr: Artenne Nenzing
Fr, 25.11., 20 Uhr: Bahnhof Andelsbuch
Sa, 26.11., 20 Uhr: Michaelskirche Rankweil

„puls“ ist im Musikladen Feldkirch, im gutsortierten Fachhandel und über Galileo Music erhältlich.